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Wie viel kostet Reisen wirklich?

Tom Wills | Gianna-Carina Grün
29. August 2018

Flüge scheinen oft die schnellere und günstigere Reiseoption zu sein. Das täuscht, wie Datenvisualisierungen der DW zeigen. Wenn man Wartezeiten und Umweltschäden einrechnet, sehen die echten Reisekosten ganz anders aus.

data vizualization ddj teaser trains vs planes

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Wie viel kostet ein Flugticket von London nach Paris? Die Antwort ist nur eine Internetsuche entfernt. Billige Tickets verführen immer mehr Menschen in Europa, für einen kurzen Städtetrip, einen Familienbesuch oder eine Dienstreise ins Flugzeug zu steigen. Es ist schnell genug für einen Wochenendbesuch und kostet bisweilen deutlich weniger als eine Zugreise.

Viele von uns machen diese Reisen aber im Bewusstsein, dass es versteckte Kosten gibt. Nicht zuletzt trägt der Flugverkehr mit seinem hohen Ausstoß an Treibhausgasen dazu bei, dass der Klimawandel schneller voranschreitet.

Um die wahren Kosten des Reisens auszurechnen, hat die DW tausende Ticketpreise, Reisezeiten und CO2-Emissionswerte für Züge und Flüge auf sechs Direktverbindungen zwischen europäischen Städten gesammelt: Berlin-Warschau, München-Budapest, London-Amsterdam, London-Marseille, Paris-Barcelona und Zürich-Mailand.

Unsere Analyse zeigt, auf welchen Routen die Züge gegenüber den Flugzeugen besonders wettbewerbsfähig sind - und wie sich der Reisepreis verändert, wenn wir für die langfristigen Umweltschäden zahlen müssten.

Ticketpreise

Für jede der Routen haben wir tausende Ticketpreise über einen Zeitraum von sechs Wochen vor Abreise erfasst. Die Preise für Flugtickets stammen aus Suchen mit Google Flights und die Preise für Zugtickets von Trainline; beides sind Plattformen, die Preise von unterschiedlichen Anbietern sammeln. Die folgende Grafik zeigt, wie viel die günstigste Direktverbindung per Zug und Flug im wöchentlichen Durchschnitt jeweils kostet.

Für drei der sechs Strecken sind Flugtickets günstiger als Zugtickets. Für die meisten Strecken gilt: Je früher man bucht, desto geringer ist der Preisunterschied zwischen beiden Verkehrsmitteln.

Für Strecken, auf denen Billig-Airlines fliegen, überrascht es nicht, dass ein Flug weniger kostet als eine Zugfahrt. Doch auf drei der Strecken sind die Zugverbindungen sogar günstiger.

Reisezeiten

Wenn man sieht, wie lange man mit dem Zug unterwegs sein wird, kann das abschrecken - vor allem, wenn man die Reisezeit den kurzen Flugzeiten gegenüberstellt. Doch das ist eigentlich kein fairer Vergleich: Ein Zug verbindet in der Regel Innenstadt mit Innenstadt, und es reicht meistens – mit Ausnahme von Routen nach Großbritannien –, wenige Minuten vor Abfahrt am Bahnhof zu sein. Zum Flughafen zu gelangen, die Sicherheitskontrollen zu passieren, am Gate auf den Abflug zu warten und den Zielflughafen wieder zu verlassen verlängert die Reisezeit bei einem Flug hingegen locker um drei Stunden. Dann sehen Zugverbindungen schon vorteilhafter aus.

Einige Routen haben in den letzten Jahren davon profitiert, dass in die Schienen-Infrastruktur investiert wurde. Der Zug zwischen Zürich und Mailand zum Beispiel fährt durch den Gotthard-Tunnel, eine elf Milliarden Euro teure Abkürzung durch die Schweizer Alpen, die die Fahrtzeit um eine halbe Stunde verkürzt. Eurostar hat dieses Jahr eine Direktverbindung zwischen London und Amsterdam eingerichtet. Und die Paris-Barcelona-Reise dauerte mit dem Zug noch 12 Stunden, bevor im Jahr 2013 eine neue Hochgeschwindigkeitsstrecke eröffnet wurde.

Kohlenstoffemissionen

Wer schon einmal mit einer Billig-Airline geflogen ist, der kennt die unerwarteten Extrakosten: Ein Gepäckstück aufzugeben oder einen Sitz auszuwählen, erhöht den eigentlichen Flugpreis. Aber wie können wir die versteckten Umweltkosten unserer Reisen bemessen?

Für die Treibhausgas-Emissionen hat die DW Zahlen von IFEU verwendet, einer Umwelt-Beratungsfirma, die EcoPassenger betreibt. Diese Webseite schätzt die Emissionen pro Passagier für eine beliebige Reisestrecke ab.

Um die Umweltkosten zu berechnen, gilt es zunächst zu bestimmen, wie viel Treibhausgase ein Flugzeug freisetzt. Zum Vergleich: Der Tank einer Boeing 747 fasst über 200.000 Liter Kerosin – ungefähr so viel Treibstoff wie in 4.000 Kleinwagen. Die Startphase und der Anstieg auf Reisehöhe verbrauchen besonders viel Treibstoff. Ein Kurzstreckenflug braucht also mehr Treibstoff pro Reisekilometer als ein Langstreckenflug: 75 Gramm Kerosin pro Kilometer pro Passagier für eine Gesamtflugstrecke von 250 Kilometern – im Vergleich zu 33 Gramm pro Kilometer pro Passagier für eine Gesamtflugstrecke von 1000 Kilometern.

Mehr lesen: Der Klimawandel und das Fliegen

Wie viel CO2 beim Verbrennen von Kerosin frei wird, ist relativ einfach zu ermitteln. Doch es gibt einen Haken: Triebwerke setzen auch andere umweltschädliche Substanzen frei – vor allem in großer Höhe –, und Wissenschaftler können noch nicht exakt bestimmen, wie schädlich diese für die Umwelt sind. Der zusätzliche Effekt, den Emissionen wie Stickstoffoxide, Ozon, Wasserdampf, Ruß und Schwefelverbindungen auf die Atmosphäre haben, wird als "Radiative Forcing Index" bezeichnet. Das IFEU-Modell geht davon aus, dass dieser zusätzliche Treibhauseffekt einsetzt, wenn die Flughöhe mehr als neun Kilometer beträgt.

Hochgeschwindigkeitszüge fahren mit Elektrizität, daher basieren die Schätzungen ihrer Treibhausgasemissionen auf den Emissionen, die bei der Erzeugung der Energie entstehen, die sie verbrauchen. Die wiederum variiert von Land zu Land: Polen zum Beispiel gewann 89 Prozent seiner Elektrizität im Jahr 2015 durch Kohle, Gas und Öl, in Deutschland waren das nur 58 Prozent.

Ticketpreise zuzüglich der sozialen Kosten der CO2-Emissionen

Reisezeit und Ticketpreise sind nicht schwierig zu erfassen, aber wie sollen wir abschätzen, ob 248 Kilogramm CO2 ein vertretbarer Preis für unseren Wochenendausflug sind?

Hier kommen die sozialen Kosten von CO2 (social cost of carbon) ins Spiel. Wirtschaftswissenschaftler arbeiten seit Jahren an dieser Idee. Die Theorie: Wenn wir abschätzen, was der Klimawandel die Gesellschaft kostet –wir wissen schließlich, dass Treibhausgase den Klimawandel verursachen –, können wir CO2-Emissionen mit einem Preisschild versehen.

Es gibt keinen wissenschaftlichen Konsens darüber, wie hoch die sozialen Kosten sind. Die US-Umweltschutzbehörde EPA hat sie mit 42 US-Dollar pro metrische Tonne CO2 für das Jahr 2020 berechnet und mit 69 Dollar bis zum Jahr 2050. Aber einige Wissenschaftler sagen, dass diese Zahlen nicht die möglicherweise fatalen Folgen des Klimawandels berücksichtigen – sodass die Werte mindestens zehnmal so hoch sein sollten. Für ihre Auswertung hat die DW 574 US-Dollar (489 Euro) pro metrischer Tonne CO2 zugrunde gelegt, basierend auf Forschungsergebnissen des irischen Wirtschafts- und Sozialforschungsinstituts. Dabei handelt es sich um die höchste Schätzung für die sozialen Kosten von CO2.

Addiert man diese sozialen Kosten von CO2 zu unseren Zug- und Flug-Ticketpreisen, ändert sich das Bild:

Flugzeuge sind günstiger auf drei der Routen. Bezieht man die sozialen Kosten von CO2 mit ein, liegen die tatsächlichen Preise deutlich höher.

Wir haben alle Faktoren – Reisepreis, Reisezeit und CO2-Emissionen für jede Route – in einem Diagramm zusammengefasst. Kleinere Dreiecke stehen für Reisen, die günstiger, schneller und/oder umweltfreundlicher sind.

Wenn man alle Aspekte mit einbezieht, zeigt sich, dass Züge auf fast allen Routen günstiger sind als das Flugzeug.

Kleinere Dreiecke stehen für Reisen, die günstiger, schneller und/oder umweltfreundlicher sind. Berechnet man realistische Reisezeiten und die sozialen Kosten von CO2 mit ein, kostet eine Zugfahrt oft weniger als ein Flug – das blaue Dreieck erscheint fast vollständig innerhalb des roten Dreiecks.

CO2-Steuer

Natürlich handelt es sich hierbei nur um ein Experiment. Es gibt keinen akademischen Konsens, wie hoch die sozialen Kosten von CO2 tatsächlich sind, oder ob ihre Berechnung dazu führt, dass Menschen umweltbewusster handeln.

Eine zusätzliche emissionsbasierte Steuer auf Ticketpreise könnte ein effektiver Weg sein, den Flugverkehr zu reduzieren, und Menschen anspornen, umweltfreundlichere Reiseoptionen zu wählen.

David Hodgkinson, Lehrbeauftragter an der Universität Westaustralien, argumentiert für eine solche CO2-Steuer, vor allem wenn man berücksichtigt, wie kompliziert es wäre Vorhaben zur Emissionsreduktion über Ländergrenzen hinweg durchzusetzen. "Menschen verstehen das", sagt er. "Es gefällt ihnen wahrscheinlich nicht, aber sie verstehen die Vorteile einer solchen Steuer. Die meisten Menschen, sogar die Luftfahrtindustrie, würden akzeptieren, dass der Bedarf besteht, einen zusätzlichen Preis auf Flugemissionen zu bezahlen."

Mehr lesen: Klimaneutral fliegen - geht das?

Hodgkinson sieht bereits bestehende Initiativen, um Flugemissionen zu senken, kritisch – auch das Modell der CO2-Ausgleichszahlungen der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation. "Staaten haben zugestimmt, die Fluggesellschaften sind an Bord, aber es geht nicht an den Kern des Emissionsproblems. Die Emissionen werden wahrscheinlich von Jahr zu Jahr steigen", sagt er. "Für einige Fluglinien wird sich bis weit nach 2030 nichts ändern, und wir wissen nicht, wie die Welt 2030 aussehen wird, im Hinblick auf Emissionen."

Roger Tyers, ein Verhaltensforscher, der die CO2-Ausgleichszahlungen an der Universität von Southampton untersucht, glaubt nicht, dass höhere Kosten allein reichen werden, die Nachfrage nach Flugreisen zu senken. "Fliegen ist inzwischen so verwurzelt im Verhalten von Menschen, dass höhere Preise sie wohl kaum davon abhalten werden", sagt er. "Diejenigen, die fliegen, sind – global betrachtet – reich und können das wegstecken." Tatsächlich haben Forscher geschätzt, dass nur zwei bis drei Prozent der Menschen weltweit jährlich einen internationalen Flug antritt.

Tyers sagt, dass mehr in Hochgeschwindigkeitszüge investiert werden müsse, damit Zugfahrt einfach schneller und damit attraktiver werden. Und dass Menschen kulturelle Zeichen brauchen, die sie ermutigen, ihr Verhalten zu ändern. Europäische Regierungschefs seien jedoch unwillig, gegen den steigenden Personenflugverkehr vorzugehen. "Es ist eine sehr verlässliche Quelle für Wirtschaftswachstum", sagt er. "Die Regierungen wollen nicht, dass wir über Sinn und Unsinn des Fliegens diskutieren."

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