Indiens Wasserkrise
8. April 2019Auf der Suche nach einem besseren Leben kamen sie aus Westbengalen in die Hauptstadt: die Menschen, die nun am Rande der Bhalswa-Müllhalde in Delhi leben. Ihre improvisierten Backsteinhäuser drücken sich gegen die hoch aufragenden Berge aus Abfall.
Jeden Tag erklimmen sie den Müllberg, wie die 30 Meter hohe Müllhalde genannt wird, um Abfall zu sammeln, den sie weiterverkaufen können. Die meisten Familien verdienen zwischen 100 Rupien (1,28 Euro) und 400 Rupien (5,11 Euro) pro Tag.
Das Leben ist hart und von einem Teil des wenigen Geldes, das sie verdienen, müssen sie auch noch Trinkwasser in Flaschen kaufen.
"Wasser ist ein großes Problem. Es gibt keine Straßen oder Abflüsse. Wasser läuft in die Häuser", sagt Latipha Bibi, einer der Müllsammler.
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Etwa 30 Familien bekommen ihr Wasser hier aus dem gleichen Wasseranschluss. Der liefert für zwei bis drei Stunden am Tag Wasser, aber die Müllsammler glauben, dass Schadstoffe aus der Müllhalde in die Rohre gelangen und dass sie das Wasser lange laufen lassen müssen, bis sie herausgespült sind. Am Ende bleiben ihnen nur etwa 30 Minuten sauberes Wasser am Tag.
"Das Wasser, das rauskommt, ist gelb und schwarz", sagt Anil Chaurasia, von der örtlichen NGO Chhath Puja Dharmik Samaj Kalyan Samiti, die sich dafür einsetzt, dass der Staat den Menschen hier eine Infrastruktur aufbaut. "Auf der Müllhalde werden Ammoniak und Methangase freigesetzt, die zum Teil sogar Feuer fangen. Dann brennt es Tag und Nacht. Deshalb ist das Grundwasser völlig vergiftet."
Indiens Wasserprobleme
Wasserverschmutzung ist in den meisten Teilen Indiens ein Problem. Zu viel Arsen, Fluoride und Schwermetalle verschmutzen das Grundwasser. Und das in einem Land, das dieses Grundwasser der Weltbank zufolge für 80 Prozent seiner häuslichen Wasserversorgung verwendet.
Und der Klimawandel macht alles nur noch schlimmer. Unberechenbare Wetterlagen und Dürren führen dazu, dass Grundwasser, das für die Landwirtschaft und den häuslichen Gebrauch verwendet wird, vielerorts schwindet. Gleichzeitig dringt Salzwasser durch den Anstieg des Meeresspiegels immer öfter in Süßwasserseen und Flüsse ein und macht so wichtige Süßwasserquellen ungenießbar.
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Etwa 1700 Kilometer von der Bhalswa-Müllhalde entfernt, im Dorf Mangamaripeta an der Bucht von Bengalen, geschieht gerade genau das. Der Indische Ozean steigt an und das Meerwasser dringt zunehmend in das Grundwasser ein.
"Das Grundwasser in der Nähe vom Strand ist nur noch Salzwasser", sagt Ratna Garikina, eine der Bewohnerinnen. "Jeden Monat haben wir an etwa 10 Tagen Probleme mit dem Wasser. Deshalb müssen wir mit gelagertem Wasser auskommen."
So wie die Müllsammler in Bhalswa, müssen die Menschen hier zum Trinken und Kochen oft Wasser aus Flaschen verwenden. Das kostet eine Familie bis zu 30 Rupien pro Tag und ist mehr, als sich manche leisten können. Und so sind sie gezwungen, das städtische Wasser zu trinken, von dem sie sagen, es sei verschmutzt.
Nirgendwo in Indien trauen die Menschen dem Wasser, das aus den Leitungen kommt. Das Marktforschungsinstitut Euromonitor hat errechnet, dass der Markt für Flaschenwasser von 2012 bis 2017 um 184 Prozent gewachsen ist.
Die indische Regierung hat versprochen, bis 2022 dafür zu sorgen, dass jede Familie in Indien Zugang zu trinkbarem Wasser hat, aber viele bezweifeln, dass das Versprechen eingehalten werden kann. Doch inzwischen bieten Start-ups und Sozialunternehmen billige Alternativen zu Flaschenwasser.
Wasser aus dem Automaten
In den letzten zehn Jahren wurden im ganzen Land Tausende Wasserautomaten errichtet, wo Menschen für wenig Geld Trinkwasser zapfen und in ihre eigenen Behälter füllen können. Einige Unternehmen nutzen Tanklaster, um die Automaten wieder aufzufüllen, andere wie das Start-up Swajal pumpen Wasser aus dem Boden oder Flüssen und reinigen es.
"Ich stamme aus einem kleinen Dorf in Uttar Pradesh und Wasser ist dort ein Problem", sagt Vibha Tripathi, Geschäftsführerin von Swajal. Tripathi begann sich Sorgen um Indiens Wasser zu machen, nachdem ihr 2-jähriger Cousin an Durchfall starb. In Indien ist Durchfall die dritthäufigste Todesursache bei Kindern.
Seit der Gründung von Swajal 2014 haben Tripathi und ihr Team etwa 400 Wasserautomaten im ganzen Land aufgestellt. Die Firma nimmt in den Städten mehr Geld für das Wasser, um es im Gegenzug in Dörfern günstiger anbieten zu können, da die Menschen dort weniger verdienen. In Städten kostet der Liter etwa eine Rupie, auf dem Land nimmt Swajal etwa halb so viel.
Tripathi sagt, die Regierung könne die Hunderte von Millionen Menschen nicht erreichen, die keinen verlässlichen Zugang zu sauberem Wasser haben. In Bhalswa, zum Beispiel, liefert der einzige Wasseranschluss nur 30 Minuten lang sauberes Wasser, weil die Leitungen nicht gepflegt werden. Und der Anschluss wurde auch erst gebaut, nachdem ihn Gemeindemitglieder monatelang gefordert haben.
Die Infrastruktur wird kommen, glaubt Tripathi, aber in der Zwischenzeit könnten Unternehmen wie ihres sauberes Wasser in die Gemeinden bringen, die sonst keines hätten.
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Sauberes Wasser immer noch unerreichbar
Die Regierungschätzt den Markt für Wasser und Abwasseraufbereitung in Indien auf 420 Millionen Dollar und er wächst schnell. Trotzdem kann es viele Jahre dauern, bis ein Unternehmen die Kosten eines Wasserautomaten wieder reinholt.
Wasserautomaten und andere Lösungen wie günstige Wasserfilter sind langfristig billiger, als Wasser in Flaschen zu kaufen. Trotzdem bezahlen auch die Menschen, die ihr Trinkwasser vom Automaten holen, mehr für das lebensnotwendige Gut, als sie müssten, wenn die öffentliche Versorgung sauber und sicher wäre.
Selbst dort, wo Start-ups die Lücke füllen, erreichen sie bei weitem nicht alle Menschen, die in Indien unter der Armutsgrenze leben. Bis Ende dieses Jahres will Swajal 1000 Wasserautomaten im ganzen Land installieren, aber Bhalswa ist dabei nicht vorgesehen.
Die einzige Möglichkeit für die Menschen dort bleibt, sich weiter für Verbesserungen einzusetzen. Und auch wenn die Menschen von Wasserautomaten gehört haben, würden sie es vorziehen, wenn der Staat aktiv würde.
"Wir sind 15 oder 20 Mal zu unserem Regierungsvertreter gegangen, um einen Wasseranschluss mit sauberem Wasser zu fordern", erzählt Saira Banu, die in Bhalswa wohnt. Banu sagt, sie koche Wasser ab, um damit zu waschen. Zum Trinken sei es aber auch nach dem Abkochen nicht geeignet und sie sei gezwungen, Trinkwasser zu kaufen.
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NGO-Mitarbeiter Chaurasia sagt, die Regierung habe versprochen, nach 2019 für die Menschen, die in der Nähe von Bhalswa leben, eine Kläranlage zu bauen. Aber angesichts der anstehenden Wahlen in diesem Jahr ist unklar, ob die momentane Regierung noch im Amt sein wird, um das Projekt durchzuführen. Die Bewohner von Bhalswa blicken damit weiterhin in eine ungewisse Zukunft.
"Die momentanen Vertreter der Lokalregierung sagen, es wird langsam passieren, aber wann es passieren wird und wie, das wissen wir nicht", sagt Banu.
*DW hat das Ministry of Water Resources, River Development & Ganga Rejuvenation, das Central Ground Water Board und das Delhi Pollution Control Committee mehrfach um eine Stellungnahme gebeten, leider ohne Erfolg.