Zukunft des Gazastreifens: Die Rolle der arabischen Staaten
21. Oktober 2025
Zwei Jahre hatte der Krieg im Gazastreifen gedauert, in der vergangenen Woche war es dann so weit: Die Staats- und Regierungschefs der Türkei, Ägyptens und Katars unterzeichneten gemeinsam mit US-Präsident Donald Trump im ägyptischen Scharm El Scheich eine Erklärung, die den Waffenstillstand in dem kleinen Gebiet festigen soll. Damit trat die erste Phase des Friedensplans in Kraft, auf den sich Israel und die militant-islamistische, von vielen Staaten als Terrorgruppe eingestufte Hamas am 10. Oktober in Kairo geeinigt hatten.
Vorausgesetzt, der Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas hält trotz des neuerlichen Ausbruchs von Gewalt am vergangenen Wochenende, hätten der Gazastreifen und seine gut zwei Millionen Einwohner nun zumindest theoretisch wieder eine Zukunftsperspektive - auch wenn die schwierigsten Verhandlungen, etwa über die Entwaffnung der Hamas, noch bevorstehen.
Ägypten stärkt sein regionales Profil
Eine bedeutende Rolle für das Zustandekommen des Abkommens spielte Ägypten, wo das Papier auch unterzeichnet und der Weltöffentlichkeit vorgestellt wurde. Mit ihrem Engagement habe die Regierung in Kairo ihren strategischen Wert für ihre internationalen Partner bekräftigt", sagt Timothy Kaldas vom 'Tahrir Institute for Middle East Policy', im Gespräch mit der DW. "Ägypten wird auch weiterhin sein diplomatisches Gewicht in der Region demonstrieren wollen."
"Kairo kann es zudem als diplomatischen Triumph betrachten, dass frühere Diskussionen über eine Zwangsumsiedlung der Bevölkerung aus Gaza nach Ägypten und Jordanien im Plan von US-Präsident Donald Trump fallen gelassen wurden", meint Kaldas.
Kairo wolle sich auch beim Wiederaufbau des Gazastreifens engagieren, so Kaldas. Das Land verfüge über große Baukapazitäten, aber nur über wenig Geld. "Die Ägypter würden es definitiv begrüßen, wenn jemand anderes die Kosten für die Arbeit ihrer entsprechenden Unternehmen in Gaza übernähme", sagt Kaldas.
Einer jüngst veröffentlichten Schätzung von UN, Weltbank und EU zufolge werden für den Wiederaufbau in Gaza rund 70 Milliarden US-Dollar (59,8 Milliarden Euro) benötigt, davon 20 Milliarden US-Dollar allein in den ersten drei Jahren.
Die ägyptischen Behörden legten Wert darauf, ihr Engagement in Gaza als Unterstützung der palästinensischen Bevölkerung und nicht etwa als politische Hilfe zugunsten Israels darzustellen, so die Beobachtung des Experten.
Ägyptens Engagement dürfte sich auszahlen, meint Kaldas, auch weil das Land schon jetzt als politischer und wirtschaftlicher Partner wohlhabenderer Länder Erfolge verzeichnen kann. So unterzeichneten die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) im Februar 2024 ein Bauprojekt auf der Halbinsel Ras al-Hikma nahe der Stadt Alexandria. Dessen Wert: 35 Milliarden US-Dollar (29 Milliarden Euro).
Im März 2024 sagte die Europäische Kommission Ägypten ein Darlehen und weitere Finanzhilfen im Gesamtwert von 7,4 Milliarden Euro zu. Und Deutschland plant gemeinsam mit Ägypten eine Wiederaufbau-Konferenz für den Gazastreifen.
Besondere Rolle Katars
Auch Katar ließ sich bei der Unterstützung von Trumps Friedensplänen durchaus auch von Eigeninteressen leiten. So habe das Emirat nicht zuletzt darauf geachtet, dass es auch in Zukunft ein unverzichtbarer Vermittler bleibe, sagt Kristian Alexander vom Rabdan Security and Defense Institute in Abu Dhabi der DW.
Katar pflegt enge Beziehungen zu Israels stärkstem Verbündeten, den USA. 1996 eröffneten die USA ihren größten Luftwaffenstützpunkt in der Region, Al Udeid, etwa 30 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Doha. 2022 wurde das Emirat von den USA zu einem wichtigen Partner außerhalb des NATO-Bündnisses ernannt. Bereits seit 2012 beherbergte es aber auf Wunsch der USA auch die politische Führung der Hamas und sorgt dafür, dass sie als Verhandlungspartner erreichbar ist.
Doch Anfang September ließ ein israelischer Angriff auf die politische Führung der Hamas in Doha die Führung in Katar an ihrem Status als bevorzugter US-Verbündeter ebenso zweifeln wie an seiner Rolle als Konflikt-Vermittler. Druck auf die Hamas könne Katar aber nur bedingt ausüben, meint Experte Kristian Alexander.
"Doha akzeptiert zwar, dass die Hamas sich letztlich entwaffnen und die Kontrolle über Gaza abgeben muss", sagt Alexander. "Doch der Druck, die politische Führung der Hamas ohne ein umfassendes Abkommen sofort auszuweisen, würde genau jenen Einfluss zerstören, der Katar zu einem so zentralen Vermittler macht."
Darüber hinaus ist für Katar wichtig, dass die USA weitere mögliche israelische Angriffe auf Ziele auf katarischem Territorium unterbinden.
Drängen auf Entwaffnung der Hamas
Ob und in welchem Rahmen sich die übrigen Golfstaaten für Trumps Friedensplan einsetzen werden, ist derzeit offen. Am Freitag vergangener Woche berichtete die israelische Zeitung Israel Hayom, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Bahrain hätten das Weiße Haus gewarnt: "Solange die Hamas ihre Waffen behält, werden wir den Prozess nicht fortsetzen."
Zwar seien die VAE kein so zentraler Vermittler wie Katar oder Ägypten, sagt Kristian Alexander. Wohl aber unterstützten sie den Nachkriegsplan diplomatisch und finanziell auf bedeutende Weise. 2020 hatten die VAE im Rahmen der sogenannten Abraham-Abkommen zudem ein Normalisierungsabkommen mit Israel unterzeichnet. Nach wie vor unterhält nur eine Minderheit der arabischen Staaten normale diplomatische Beziehungen mit Israel.
Perspektive für Palästinenserstaat gefordert
Auch das regionale Schwergewicht Saudi-Arabien stand bei der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens in Ägypten nicht in der ersten Reihe. "Doch hinter den Kulissen spielte Riad eine entscheidende Rolle", sagt Sebastian Sons vom 'Center for Applied Research in Partnership with the Orient' (CARPO) in Bonn. Der nun ausgehandelte Waffenstillstand stelle durchaus einen indirekten diplomatischen Erfolg auch für die Saudis dar, meint Sons: Riad wünsche sich eine Stabilisierung nicht nur im Gazastreifen, sondern in der gesamten Region. "Dies ist für die wirtschaftliche Diversifizierung des Landes notwendig", analysiert Sons im Gespräch mit der DW. Saudi-Arabien arbeitet seit Jahren an Zukunftsmodellen ohne die bisherige wirtschaftliche Abhängigkeit vom Öl. Allerdings wolle sich Saudi-Arabien nach bisherigem Stand nicht in größerem Rahmen in Gaza engagieren.
Riad könnte sich aber beispielsweise bereit erklären, in Zusammenarbeit mit Ägypten und Jordanien palästinensische Soldaten auszubilden, anstatt eigene Truppen in den Gazastreifen zu schicken, sagt Sons. "Saudi-Arabien will vor allem sicherstellen, dass die Hamas im Gazastreifen keine große Rolle mehr spielt. Allerdings ist es kein Geheimnis, dass Riad auch die Palästinensische Autonomiebehörde und ihren Präsidenten Mahmud Abbas nicht als besonders vertrauenswürdige Partner betrachtet."
Abzuwarten bleibt auch, ob Israel und Saudi-Arabien die von den USA unterstützten Gespräche über die Wiederherstellung diplomatischer Beziehungen nach dem Vorbild der so genannten Abraham-Vereinbarungen wieder aufnehmen. Die vorherige Verhandlungsrunde liegt seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem folgenden Krieg auf Eis. Für Saudi-Arabien setzt die Normalisierung seines Verhältnisses zu Israel einen glaubwürdigen Weg zu einer Zweistaatenlösung mit einem unabhängigen Palästinenser-Staat an der Seite Israels voraus. Das hat Riad inzwischen so oft öffentlich betont, dass es ohne politischen Gesichtsverlust kaum noch dahinter zurück schreiten könnte.
Trump scheint weiter an ein saudisch-israelisches Abkommen zu glauben. Er hoffe, "dass Saudi-Arabien einsteigt, und ich hoffe, dass auch andere einsteigen", sagt er am kürzlich in einem Interview mit dem US-Sender Fox. Allerdings: Die von Saudi-Arabien geforderte Mindestbedingung - eine glaubwürdige Perspektive für einen Staat Palästina - wird von Israels Regierung bisher strikt abgelehnt.
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.