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Willkommen im Jahr 2050: So könnte Berlin künftig aussehen

Ida Ovesson
4. Oktober 2025

Wenn Berlin in den nächsten 25 Jahre eine klimaneutrale Stadt wird, könnte das Leben ganz anders sein. Ein Zukunftsszenario am Beispiel einer jungen Berlinerin.

Panorama, Blick von der Siegessäule auf die Stadt mit dem Wahrzeichen Brandenburger Tor, Hotel Adlon, Rotem Rathaus, Berliner Dom (links), dem rekonstruierten Berliner Stadtschloss, Nikolaikirche (rechts), vorn der Tiergarten als grüner Park im Zentrum
Tiergarten und Brandenburger Tor: Berlin verfügt bereits jetzt über viele Grünanlagen, aber Stadtplaner müssen die Stadt für eine heißere Zukunft wappnenBild: Wolfgang Maria Weber/dpa/picture alliance

Vorwort: Die Figur Emilia ist fiktiv, doch diese Vision vom Leben in Berlin im Jahr 2050 basiert auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Modellprognosen zur Stadtentwicklung.

Emilia wacht auf, geblendet vom grellen Licht, das von den Sonnenkollektoren ihres Nachbarn reflektiert wird. Sie ist erst letzte Woche nach Treptow, einem Stadtteil im Südosten Berlins, gezogen und braucht noch Vorhänge. Sie nimmt sich vor, in einem nahen Secondhand-Laden nach Vorhängen zu suchen. 

Sie steht auf und zieht ein Shirt an, das sie in einem Kleidertauschladen gekauft hat, und einen Rock, den sie von ihrer Mutter bekommen hat. Er muss an einigen Stellen etwas ausgebessert werden, aber sie sieht das als eine gute Gelegenheit, diesen nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten. Wie die meisten Menschen, die sie kennt, hat sie Spaß daran, ihren eigenen Stil zu kreieren.

Solarenergie boomt, und die Branche bietet vielen Jobs Bild: imago images/Winfried Rothermel

Es fällt Emilia schwer, sich die Fast-Fashion-Zeiten vorzustellen, von denen ihre Mutter manchmal erzählt: Damals kauften Menschen oft Kleidung, die sie vielleicht nur ein einziges Mal, oder gar nicht trugen, bevor sie sie wegwarfen. Viel davon wurde später über die Ozeane transportiert, und in anderen Ländern entsorgt.

Emilia schüttelt bei diesem Gedanken den Kopf, steckt sich Ohrringe an, die sie für ein paar Wochen gemietet hat, und macht dann ein Selfie für ihre Freundin und Mitbewohnerin Sophia, die bereits zur Arbeit gegangen ist. Sophia ist Installateurin für Solarmodule, ein Beruf, der sehr gefragt ist.

Auch Emilia wird vermutlich schnell einen Job finden, sobald sie fertig mit ihrem Studium der nachhaltigen Mode sein wird.

Grünflächen, Züge und Schwimmen im Fluss

Draußen ist es warm, aber nicht so heiß wie während der Hitzewelle im Juli, als viele Menschen oft freiwillig zu Hause blieben, um die kühlen Räume zu genießen – durch Installationen wie kleine Fensterwärmepumpen in älteren Wohngebäuden und energiesparende Designs und Isolierungen in neuen Gebäuden.

Emilia steht oft bei Sonnenaufgang auf, um kurz in der Spree zu schwimmen. Sehr zum Leidwesen ihrer Eltern. Sie erinnern sich noch an die Zeit, als sie Kinder waren. Damals war an Schwimmen im Fluss nicht zu denken, doch dann kamen umfangreiche Maßnahmen zur Abwasservermeidung, verbesserte Filterung und UV-Behandlungen. Seitdem ist die Wasserqualität viel besser. 

Ein Jahrhundert lang war das Baden in der Spree verboten Bild: Markus Schreiber/AP Photo/picture alliance

Das ist nicht die einzige Meinungsverschiedenheit in Bezug auf Wasser. Während Emilia auf ihren Zug wartet, denkt sie an die vielen Gespräche, die nötig waren, um ihre Eltern davon zu überzeugen, Regenwasser zu sammeln und Wasser zu sparen. Doch während der jüngsten Dürreperiode war ihr Vater stolz darauf, dass alle Bewohner in der Umgebung gespeichertes Regenwasser zum Waschen, für die Toilettenspülung und zum Gießen der Pflanzen an ihrem Gebäude verwendeten.

Viele Berliner fühlen sich verantwortlich für ihre Bäume und andere Pflanzen. Denn sie wissen, wie wichtig diese sind, um die Stadt kühl zu halten und die CO2-Emissionen zu reduzieren.

Emilias Eltern sind jetzt in den Fünfzigern. Und die meisten Menschen ihrer Generation sind sich einig, dass die Stadt heute lebenswerter ist als früher, trotz der Stürme, Starkregen und Hitzewellen, die wegen des Temperaturanstiegs zugenommen haben. Sie haben das Gefühl, dass sie alle zu diesem Fortschritt beigetragen haben.

Emilia findet einen Sitzplatz in der vollen U-Bahn. Das Berliner Verkehrssystem ist in den letzten Jahren effizienter geworden, mit einer Mischung aus E-Scootern, Straßenbahnen, U-Bahnen, Zügen und Fahrrädern. Früher mussten die Menschen für das Ticket in heißen, überfüllten Bahnen bezahlen. Heute  ist der Nahverkehr kostenlos, und alle Wagen sind klimatisiert. Viele Städter pendeln auch per E-Bike oder Fahrrad auf den von Bäumen gesäumten Radwegen.

Die U-Bahn fährt aus einem Tunnel heraus und Emilia schaut aus dem Fenster auf eine lange Grünfläche, hier waren früher Straßen. In den letzten Jahrzehnten wurde ein Drittel der Straßen der Stadt entsiegelt, damit jeder Regen das Grundwasser auffüllen kann. Es ist schwer vorstellbar, dass dort, wo heute Parks und Gemeinschaftsgärten sind, früher eine Million Autos fuhren.

Mangos anbauen in der Stadt 

Ausgestattet mit automatisch schließenden Türen, reflektierenden Wänden, Rollläden und guter Isolierung ist die Universität kühl, so wie viele öffentliche Gebäude. Sogar die Kantine, in der Emilia die Reste ihres 3D-gedruckten Steaks und Gemüses von dem Essen auspackt, das sie gestern Abend für ihre Eltern gekocht hat.

Fleisch aus dem Labor kann genauso gut schmecken wie konventionelles Fleisch Bild: Upside Foods

Wie die meisten Menschen hat ihre Mutter schon vor langer Zeit auf eine überwiegend pflanzliche Ernährung umgestellt, aber ihr Vater war schwerer zu überzeugen. Er isst immer noch einmal pro Woche Fleisch oder Fisch, hat sich aber mit dem Gedanken angefreundet, darauf zu achten, dass diese Produkte immer aus lokaler Produktion stammen.

Gestern Abend hat er sein Hightech-Steak aus im Labor gezüchteten Tierzellen mit Appetit gegessen, ohne zu merken, dass es nicht von einem echten Rind stammte. Und sehr zu Emilias Belustigung konnte er keinen Unterschied schmecken. Sie selbst kann sich nicht daran erinnern, wann sie das letzte Mal ein herkömmliches Steak gegessen hat.

Sie taucht ihre Reste in die Sauce, die sie aus Mangos zubereitet hat, die jetzt direkt in Berlin angebaut werden. Es ist seltsam, sich vorzustellen, dass früher ein Stück Obst um die halbe Welt transportiert wurde. Vor allem, weil Emilia selbst noch nie in einem Flugzeug gesessen hat. Und sie kann sich nicht vorstellen, dass sie das jemals tun wird. Nicht in einer Welt, in der sie die 1.500 Kilometer mit dem Hochgeschwindigkeitszug direkt von Berlin nach Helsinki in fünf Stunden zurücklegen kann.

Als ihr Vater in ihrem Alter war, dauerte diese Reise mit dem Auto oder dem Zug einen ganzen Tag, mit vielen Zwischenstopps. Daher waren Flugzeuge eine beliebte Wahl. Wenn Menschen heutzutage fliegen, dann mit Flugzeugen, die mit grünem Treibstoff oder Strom betrieben werden, und meist nur, wenn sie den Kontinent verlassen.

Aber zurück zu den Mangos. Sie werden in Containern in alten Büros angebaut, die für die Lebensmittelproduktion umgebaut wurden. In den letzten zwei Jahrzehnten hat die urbane Landwirtschaft mit Dachfarmen, vertikalen Anbausystemen und Gemeinschaftsgewächshäusern in der ganzen Stadt einen Aufschwung erlebt.

Das Engagement für die selbst angebauten Lebensmittel hat dazu geführt, dass die Menschen weniger verschwenderisch sind, ebenso wie die Zero-Waste-Bewegung und Tipps zur Verwendung von Brotrinden, altem Obst und unvollkommenem Gemüse. Und die Abfälle, die dennoch anfallen, werden größtenteils an Tiere verfüttert.

Beflügelt durch Innovation

Als Emilia am späten Nachmittag von der Universität zurückkommt, hat ihre Wohnung die perfekte Temperatur. Ihr Smart-Home-System ist so programmiert, dass es den Raum im Sommer kühlt und im Winter mit einer geothermischen Wärmepumpe für das gesamte Gebäude heizt. Das Energiesystem der Stadt arbeitet effizient. Und Berlin wird dank der Ausweitung von Solarpanels und Windparks sowie regionaler Energieverteilung nun zu 100 % mit erneuerbaren Energien versorgt.

Sie erinnert sich, dass früher, als sie noch klein war, manchmal das Licht an war, obwohl es nicht gebraucht wurde. Aber heute haben die Menschen immer den Energieverbrauch im Kopf und wollen Ressourcen schonend verwenden. Emilia duscht, ohne Wasser zu verschwenden, statt wie früher häufig in der Wanne zu baden.

Wasser und andere Ressourcen sparen, wird in Zukunft noch wichtigerBild: Roland Hartig/imago images

Sogar ihre Großmutter hat die Badewanne aus ihrem Badezimmer entfernen lassen und nutzt diese nun in ihrem Kleingarten, um Regenwasser zu sammeln. Not macht erfinderisch, hat sie damals gesagt.

Geduscht und angezogen lässt sich Emilia auf das Secondhand-Sofa fallen und liest eine Nachricht von Sophia, die unterwegs ist, um noch etwas Bier einzukaufen.

Emilia schickt ihr ein Herz. Nicht nur, weil Sophia gerade mit ihrem Lieblingsgetränk auf dem Weg zurück in ihre gemeinsame Wohnung ist. Sondern auch, weil ihr gerade bewusst ist, dass ihre Heimatstadt heute auch ganz anders und weniger lebensfreundlich aussehen könnte.

Sie weiß, dass es schon vor 25 Jahren, als sie geboren wurde, dringend notwendig war, gegen den Klimawandel vorzugehen. Sie empfindet große Dankbarkeit gegenüber all den Menschen, ob Aktivisten, Wissenschaftler, Politiker, Journalisten oder Unternehmern, die sich unermüdlich für Veränderungen eingesetzt haben.

Emila hat oft darüber nachgedacht, wie schwer es gewesen sein muss, gegen den Strom zu schwimmen, aber auch, wie befriedigend es war, als die Regierungen begannen, Initiativen zu unterstützen und Gesetze zur Dekarbonisierung der Wirtschaft zu erlassen. Und wie aufregend es damals gewesen sein muss, zu sehen, wie sich die Denkweise und dann die Stadt selbst veränderten und zu etwas Neuem wurden.

Und nicht nur in Berlin, sondern auf der ganzen Welt. Während die Länder mit lokalen Lösungen experimentierten und sich gegenseitig inspirierten, verbreiteten sich gemeinschaftliche Aktionen und führten nach und nach zu einer kollektiven und dramatischen globalen Wende. 

Emilia sieht aus dem Fenster, wo gerade die warmen Strahlen der untergehenden Sonne auf die Solardächer nebenan fallen und lächelt.

Nachwort: Dies ist eine mögliche Version der Zukunft im Jahr 2050, wenn die Welt Maßnahmen ergreift, um den Klimawandel zu verlangsamen. 

Adaption aus dem Englischen: Anke Rasper 

Ida Ovesson Ida Ovesson ist freie Journalistin