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PolitikEuropa

Zukunftsängste auf La Palma

Nicole Ris
16. November 2021

Der Vulkan Cumbre Vieja auf La Palma gibt einfach keine Ruhe. Viele Anwohner sorgen sich um ihr Leben, ihre Arbeit, ihr Auskommen. Einige haben die Insel bereits verlassen, um woanders neu anzufangen.

BG Spanien La Palma Vulkanausbruch
Lavaströme bedrohen noch immer Gebäude auf der spanischen Kanareninsel La PalmaBild: Emilio Morenatti/AP/picture alliance

Es ist ein schwerer Abschied. Nach 20 Jahren packt Leonardo Rodríguez die Koffer. Er verlässt seine Heimat La Palma. Zusammen mit seiner Partnerin und ihren zwei Katzen wagt der Koch Ende des Monats einen Neustart, auf dem Festland in Granada. Dort hat man ihm bereits eine Arbeitsstelle zugesagt. Denn in der Pizzeria in Jedey, in der er bislang gearbeitet hatte, geht seit Wochen nichts mehr. Sie befindet sich direkt am Fuße des Vulkans Cumbre Vieja. Auch das Haus, das er gemietet hatte, befindet sich dort. Doch hin kann er nicht mehr. Im Umkreis von sechs Kilometern wurde das Gelände weiträumig evakuiert, Zutritt verboten. Die Lava ist zu nah. 

Leonardo Rodríguez wird künftig in einem Restaurant im südspanischen Granada arbeitenBild: Leonardo Rodríguez

"Ich habe mit meiner Chefin gesprochen. Sie macht den Laden Anfang Dezember offiziell dicht. Der Vulkan hört einfach nicht auf, es gab wieder sehr heftige Eruptionen. Eine Kollegin und ich müssen nun unsere Arbeit aufgeben", berichtet er angespannt.

Neuanfänge wider Willen

Eigentlich hatten er und seine Freundin vor, ein Haus zu kaufen. Von Null anfangen war sicher nicht ihr Plan. Bis am 19. September der Vulkan ausbrach. Inzwischen hat er mehr als 1500 Gebäude zerstört. Und das mache sich auch auf dem Immobilienmarkt bemerkbar. Leonardo Rodríguez findet nichts. So wie ihm geht es vielen Palmeros. Inzwischen gebe es immer mehr Menschen, die La Palma verlassen, erzählt Leonardo. Auch seine Schwester sei inzwischen nach Teneriffa gezogen. Es gebe kaum Arbeit, kaum Wohnraum, und die Menschen wollten nicht weiter auf staatliche Hilfe angewiesen sein, so wie Leonardo Rodríguez gerade. Das versprochene Kurzarbeitergeld, sagt er, sei noch immer nicht angekommen.

"Morgen habe ich einen Termin beim Roten Kreuz. Sie verteilen eine Art Kreditkarte, mit der man tanken oder im Supermarkt einkaufen kann. Alles außer Alkohol, Kleidung und Tabak", erzählt der Koch. "Da sind immerhin 150 bis 200 Euro drauf." Insgesamt hatte die spanische Regierung über 250 Millionen Euro zugesagt, um den Einwohnern der Insel zu helfen. Mit neuen Häusern, Infrastruktur, Kompensationszahlungen für Betriebe. Doch das Geld kommt nur sehr langsam auf der Insel an. Bislang konnte die Regionalregierung nur einen Bruchteil der zugesagten Gelder investieren - etwa in Wohnungen für Evakuierte oder in ihre psychologische Unterstützung. Oder auch in neue Bewässerungssysteme, um die teilweise von der Wasserversorgung abgeschnittenen Bananenplantagen zu versorgen. Viele Palmeros beklagen allerdings, dass sie von den finanziellen Hilfen bislang kaum etwas erhalten hätten, weil ihre Verteilung viel zu bürokratisch geregelt sei.

Asche bedeckt viele Straßen des kleinen Örtchens JedeyBild: Leonardo Rodríguez

Zuviel Bürokratie, zu lange Verfahren

Oliver Martín arbeitet normalerweise in der Tourismusbranche. In diesen Tagen aber hilft er vielen Betroffenen. Schippt Asche, bietet sein Auto für Besorgungsfahrten an. Er kennt Menschen, die mehrfach ihre Dokumente bei den Behörden vorlegen mussten. Und trotzdem noch immer auf Zahlungen warten würden. Nicht mal einen Euro für einen Kaffee in ihrer Stammbar hätten sie. Natürlich würden die Spenden spanischer Hilfsorganisationen helfen. Aber La Palma habe sich quasi über Nacht verändert, erzählt er. "Vielen Menschen auf der Straße sieht man den Schmerz und die Verzweiflung im Gesicht an. Die Menschen sind traurig. Und das, obwohl wir uns hier auf La Palma eigentlich immer als ein glückliches Volk gesehen haben."

Spanien: La Palma und der Vulkan

12:30

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Auch Martín macht die Situation seit dem Vulkanausbruch sehr zu schaffen. Seine Tochter Violeta, die 2018 starb, ist auf einem Friedhof in Tazacorte begraben. Einer der Lavaströme fließt gerade mal einen halben Kilometer entfernt von ihrer letzter Ruhestätte. Die Familie durfte das Grab in den letzten Wochen nur wenige Male und ausnahmsweise besuchen. Der Gedanke, dass die Tochter für immer unter der Lava eingeschlossen werden könnte, zerreißt ihm beinahe das Herz. "Das wäre, als würden wir sie ein zweites Mal verlieren." Nun fordern er und auch andere, deren Angehörige auf dem Friedhof begraben sind, die Gräber umsetzen zu lassen. Aber das ist schwierig.

Allein schon, weil hierfür nach geltendem Recht mindestens fünf Jahre seit der Beerdigung vergangen sein müssen. Martín bräuchte also eine Ausnahmegenehmigung. Wenn das nicht zu lange dauert. Denn der Lavastrom in der Nähe des Friedhofs könnte jederzeit stärker werden oder seine Richtung ändern. "Wir sind sehr beunruhigt. Und fühlen uns hilflos. Aber eins steht fest: Wenn nicht rechtzeitig eine Entscheidung fällt und die Lava den Friedhof unter sich begraben sollte… dann werde ich dorthin gehen und meine Tochter eigenhändig bergen."

Anwohner in den Gemeinden am Fuße des Vulkans leben in ständiger Sorge, dass Lavaströme durch neue Eruptionen anschwellen oder ihre Richtung ändern könnten.Bild: Emilio Morenatti/AP Photo/picture alliance

Der Vulkan bestimmt das Leben der Palmeros auf allen Ebenen. Und rund um die Uhr. Leonardo Rodríguez schaut angespannt auf sein Handy: Nachrichten von Bekannten in der Nähe von Jedey, am Fuße des Vulkans. Der Vulkan grummele erneut - "wie vor der letzten großen Eruption". Die Anspannung um den bislang längsten Vulkanausbruch in der Geschichte La Palmas bleibt.

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