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Zukunftsvisionen: Wohin steuert die digitale Wirtschaft?

Sabine Kinkartz24. April 2013

Die digitale Revolution ist nicht mehr aufzuhalten. Welche Trends sie setzt, wo Gefahren lauern und wo Chancen liegen, wurde auf der Digitalkonferenz NEXT in Berlin diskutiert.

Der RJ45-Stecker eines Netzwerkkabels. Mit diesen auch LAN-Kabel genannten Leitungen werden Computer unter anderem an das Breitband-Internet angeschlossen. Foto: David Ebener dpa/lnw
Bild: picture-alliance/dpa

Ein Kongress der Digitalwirtschaft ohne Zugang zum Internet - das ist wie ein Formel-1-Autorennen ohne Sprit. Kein Wunder, dass der Physiker und Mathematiker Stephen Wolfram etwas hilflos reagiert, als das Internet auf der Digitalkonferenz Next 2013 ausgerechnet in dem Moment ausfällt, als der Brite vorführen will, wie seine Suchmaschine Wolfram Alpha soziale Netzwerke wie Facebook auswertet. "Wenn wir keine Verbindung zum Netz bekommen, sind wir erledigt", sagt Wolfram nach ein paar Versuchen, auf seinem Laptop das World Wide Web erscheinen zu lassen und erntet damit reichlich Lacher im Saal.

Die rund 1500 Konferenzteilnehmer - ein Drittel von ihnen aus dem Ausland - haben aber durchaus Mitgefühl mit dem Referenten. Jeder hier weiß, dass ohne einen stabilen und schnellen Internetzugang in der digitalen Wirtschaft gar nichts geht. "Ich habe den Drachen gefunden, es ist der Netzzugang", twittert ein Teilnehmer prompt und spielt damit auf das Motto der diesjährigen Next an, das "Here be Dragons" lautet, also "Hier sind Drachen". Damit wird auf die mittelalterliche Praxis angespielt, Drachen und Seeungeheuer in unbekannte Gebiete auf Karten einzuzeichnen, Gebiete also, in die sich noch niemand vorgewagt hat.

Der Haarschnitt bleibt noch analog

Doch die digitalen Pioniere stehen in den Startlöchern, wie im Foyer des bcc, des Berliner Congress Centers zu sehen ist. Start-ups präsentieren hier ihre Ideen, vom mobilen Bezahlservice bis zur Online-Terminvereinbarung für Handwerker und Dienstleister, beispielsweise Friseure. Demonstrativ lässt sich eine junge Frau gerade die Haare schneiden.

Die Stände sind dicht umlagert und es wird intensiv diskutiert. Die jungen Entwickler und Kreativen sind eine vernetzte Gemeinschaft und genau das ist der Trend, wie Marina Gorbis vom Institute For The Future erklärt. "Es ist ein sehr sozialer Prozess, wobei die Gemeinschaft anders aussieht, als wir es bis jetzt gewöhnt sind." Es gehe darum, Menschen in einem Netzwerk miteinander zu verbinden. "Dieses Netzwerk baut sich aus und es baut eine neue Welt auf, aber basierend auf der Alten und ohne dabei Existierendes zu zerstören. Die neuen sozialen Verbindungen und Technologien werden genutzt, um das System flexibler, agiler und widerstandsfähiger zu machen."

Mobile Spiele boomen. 2012 stieg der Umsatz in Deutschland auf 38 Millionen EuroBild: picture-alliance/dpa

Schöne neue Welt?

Wie das konkret aussehen kann, demonstriert Gorbis an der Internetplattform oDesk, einer digitalen Jobbörse. Ob Softwareentwicklung, Webdesign, Übersetzungen, Büroarbeiten: wer einen Auftrag zu vergeben hat, kann ihn hier ausschreiben, oder sich direkt unter den Jobsuchenden aus aller Welt umschauen, die sich hier in Schrift und Bild zu Tausenden präsentieren, einschließlich des geforderten Stundenlohns.

In pessimistischen Momenten, so räumt Marina Gorbis ein, plage sie natürlich der Gedanke, ob diese Entwicklung nicht auch zu mehr Vereinzelung, zu ungleicheren Einkommen, zu weniger Privatsphäre und mehr Überwachung führen werde. Niemand stehe der zukünftigen Entwicklung jedoch passiv gegenüber. "Wir müssen über die Technologien, die wir entwickeln, genau nachdenken, denn es sind soziale Technologien, die unsere Gesellschaft formen werden und das auf Jahre und Jahrzehnte hinaus." 

Die etablierte Geschäftswelt stöhnt

Derzeit produziert die digitale Welt noch mehr Fragen, als es Antworten darauf gibt. Was will die Gesellschaft, was will der Konsument? Wer kann damit Geld verdienen und wie verändert die Digitalisierung Gewerbe und Handel? Eins ist sicher: Es ist eine Revolution, die sich nicht mehr aufhalten lässt und der interaktive Konsument rüttelt bereits kräftig an den Grundfesten der etablierten Geschäftswelt.

Kaum jemand bekommt das schmerzlicher zu spüren, als die Verlage. Die Wünsche der Leser hätten sich dramatisch verändert, sagt Stan Sugarman vom Hamburger Verlagsriesen Gruner und Jahr. In der Masse seien die Konsumenten nicht mehr bereit, für Nachrichten und Magazininhalte zu bezahlen. Der Einführung einer Paywall, einer Bezahlschranke in Deutschland, steht Sugarman skeptisch gegenüber. "Das wird schiefgehen. Beim Wallstreet Journal und der Financial Times funktioniert das nur, weil die Hälfte des Angebots von Firmen und Institutionen genutzt wird, die darauf angewiesen sind."

Wie lange wird es noch gedruckte Zeitungen geben?Bild: Co

Wer soll das bezahlen?

Bezahlt werde zukünftig höchstens noch für langlebige Inhalte, beispielsweise für Kochrezepte, populäre Wissenschaftsthemen oder exklusive Reiseinformationen, so Sugarman. Gruner und Jahr arbeitet an einer neuen Datenbank-Software und kann sich vorstellen, seine Inhalte künftig auch über Plattformen wie den Online-Händler Amazon zu verkaufen.

Auch bei der Deutschen Telekom schürt die digitale Revolution nicht nur Begeisterung. Der Datentransfer nimmt beständig zu, das Unternehmen fühlt sich mit der Forderung, für die passende Infrastruktur zu sorgen, allein gelassen. "Es ist die Rede von 1,3 Zettabyte Datenvolumen, die in einem Jahr übermittelt werden müssen. Das ist eine Zahl mit 20 Nullen. Wer soll dafür zahlen?", fragt Telekom-Manager Matthias Schmidt-Pfitzner. "Der Staat, die Regierung, ich weiß es nicht. Im Moment ist es die Deutsche Telekom und wir müssen uns das Geld irgendwo wieder herholen."

Nach den Vorstellungen der Telekom soll es in Zukunft Obergrenzen für Datenvolumina geben. Wer sie überschreitet, soll mehr bezahlen, oder muss mit einer Geschwindigkeitsdrosselung leben. Auf der Trendkonferenz Next muss sich Schmidt-Pfitzner dafür einige Buhrufe aus dem Auditorium anhören.

Politische Visionen

Auch die Politik macht sich inzwischen Gedanken. Statt gegeneinander müssten die alte und die neue Ökonomie miteinander arbeiten und an einem Strang ziehen fordert der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Nur so könne die digitale Revolution zu einem Erfolgsmodell für die deutsche Wirtschaft werden, sagt der Sozialdemokrat auf der Next in recht gutem Englisch, womit er sich mühelos der Sprachregelung in der digitalen Branche anpasst. Als Minister und jetzt Parlamentarier habe er die Vitalität der digitalen Branche genauso erlebt, wie die Stärke der traditionellen deutschen Industrie, so Steinbrück. "In der Kombination dieser beiden Bereiche liegt der Kern einer Vision, mit der Deutschland die Führung in der kommenden industriellen Revolution übernehmen kann und wird."

Als Beispiel dient dem SPD-Politiker die Automobilbranche. In zehn Jahre werde keine Werkstatt mehr auf Ersatzteile warten müssen, sondern könne sie mithilfe eines 3D-Druckers einfach herstellen. "Die Wertschöpfungskette wird sich verändern, die Produktionsketten werden dezentralisiert und näher an den Kunden heranrücken." Schon jetzt würden Unternehmen ihre Produktion aus Billiglohnländern wieder in die Heimat zurückholen, damit sie sich schneller und besser an die Veränderungen in den Heimatmärkten anpassen könnten. Bei den komplexen Entwicklungen bräuchten die Firmen außerdem gut ausgebildete Mitarbeiter.

Der Ruf nach mehr Geld

Steinbrücks Rechnung hört sich ganz einfach ein. Mehr und bessere Infrastruktur, ein zügiger Ausbau der Breitbandleitungen auch in den ländlichen Räumen, mehr Bildung und eine Stärkung des Unternehmertums sind für den Sozialdemokraten die Kernelemente, damit die Industrielle Revolution 4.0, wie er sie nennt, gelingen kann. Finanziert werden sollen diese Investitionen über höhere Steuern für Großverdiener.

Sieht Deutschland als Gewinner in der Industriellen Revolution 4.0: SPD-Kanzlerkandidat SteinbrückBild: picture-alliance/dpa

Mehr Geld müsse aber auch in die Finanzierung der digitalen Wirtschaft fließen. In den USA wurden im vergangenen Jahr umgerechnet mehr als 30 Milliarden Euro Startkapital für junge Internet-Firmen bereitgestellt. In Deutschland waren es weniger als eine Milliarde Euro. "Um mehr Geld in deutsche Startup-Unternehmen zu lenken, lade ich die Versicherungswirtschaft und den Bankensektor ein, über neue Wege nachzudenken, um ihre enormen Kapitalrücklagen in produktive neue Ideen von jungen Menschen hier in Deutschland zu investieren. Das ist besser, als das Geld in hochspekulative und riskante Finanzgeschäfte zu stecken."

Eine Forderung, für die Steinbrück auf der Next viel Applaus bekommt. Den erhält er aber auch für die Forderung nach einer grundsätzlich neuen Einstellung zum Unternehmertum. In Deutschland müsse immer alles perfekt sein und möglichst risikolos. Jungen Menschen, die sich mit ihren Ideen in der digitalen Wirtschaft auf den Weg machen wollten, müsse man aber zugestehen, auch versagen zu können. Das, so Steinbrück, sei auch ein großer Unterschied zur Mentalität in den USA.

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