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Zum Karfreitag von Bischof Dr. Stephan Ackermann, Trier

2. April 2010

Wunden gehören zu unserem Leben. Keiner geht unverwundet durchs Leben. Das fängt an bei den täglichen Kratzern und reicht bis hin zu den Wunden, die tiefer gehen, die nur langsam ausheilen oder gar nicht mehr.

Bischof Dr. Stephan Ackermann (Foto: Bischöfliche Pressestelle Trier)
Bild: Bischöfliche Pressestelle Trier

Wieviele Verwundete sehen wir alltäglich durch die Nachrichten: lebensgefährlich, unrettbar Verwundete. Wo uns jemand seine Wunden zeigt, schrecken wir zurück: aus Mitgefühl, aus Angst vor dem Schmerz, aus Angst vor Ansteckung. Nicht zu sprechen von den seelischen Wunden. Oft kaum vernarbt, beginnen sie leicht wieder zu schmerzen. "Nur nicht in alten Wunden rühren": in der Wunde ungerechter Behandlung, der Wunde, betrogen, worden zu sein; der Wunde der Ohnmacht, weil die eigene Stimme ungehört verhallt. All das sind Wunden, die nach Heilung rufen.

Am Karfreitag schauen wir auf den zu Tode verwundeten Jesus am Kreuz, wenden unseren Blick bewusst nicht ab. Bei der Kreuzverehrung während des Gottesdienstes gehen wir sogar auf Tuchfühlung mit dem Gekreuzigten. Wie paradox: Menschen suchen die Nähe eines zu Tode Verwundeten, und sie suchen sie nicht, um ihm zu helfen (das wäre verständlich), sondern um sich von ihm helfen, ja von ihm heilen zu lassen!

"Durch seine Wunden sind wir geheilt" bekennen die Christen mit Worten des Propheten Jesaja (53,5). Die Worte stammen aus einem der so genannten Lieder vom leidenden Gottesknecht. Schon die ersten christlichen Generationen haben das Geschick Jesu, seine Passion und seinen Tod von der Figur des Gottesknechtes her verstanden. In Jesus sahen sie das in Erfüllung gegangen, was der Prophet beschreibt. Von Jesus gilt: "Durch seine Wunden sind wir geheilt" (1 Petr 2, 24).

Doch wie soll das gehen? Wie durch die Wunden eines Anderen geheilt werden? Am ehesten noch geschieht es dadurch, dass ein Anderer sich schützend für mich in die Bresche geworfen und Wunden abbekommen hat. Die Wunden als Zeichen der Solidarität des Retters mit dem Geretteten. Und tatsächlich glauben wir, dass Jesus in einem unbeschreiblichen Maß solidarisch war mit allen Menschen, die ihm begegneten. Er war an ihrer Seite, hat geholfen, geheilt und geteilt, wo er konnte. Jesus ist der Inbegriff des solidarischen Menschen. Doch das allein würde nicht reichen. Denn diese Solidarität würde uns nicht heilen. Sie würde uns rühren, könnte uns Vorbild sein, aber heilen? Nein.

Die Wunden Jesu können nur dann heilend für uns sein, wenn Karfreitag und Weihnachten zusammengehören, das heißt: wenn Gott wirklich Mensch geworden ist, wenn wir in Jesus wirklich an Gott anrühren. Dann und nur dann sind die Wunden Jesu heilend. Dann sagen sie: Gott steht offen für uns. Gott selbst lässt sich in Jesus berühren. Er lässt es zu, dass wir Menschen uns ihm sogar gewaltsam nähern. Denn er gibt alles darum, dass wir bei ihm ankommen.

In den Wunden Jesu geschieht der Zugang zum Heil der Welt. Die Wunden sind sozusagen die offenen Tore, durch die wir zum heilenden Grund der Welt gelangen; durch die uns das entgegenquillt, was alle Wunden dieser Erde heilen kann. Der Evangelist Johannes berichtet: "Einer der Soldaten stieß mit der Lanze in Jesu Seite, und sogleich floss Blut und Wasser heraus" (Joh 19,34). Die ersten Christen erkannten in dieser Notiz den Hinweis auf Eucharistie und Taufe: die Sakramente, die göttliches, das heißt heilig-heiles Leben schenken.

Wenn das wahr ist, dann wird alles darauf ankommen, dass diese Quellen nicht versiegen. Genau das versprechen uns übrigens die Ostererzählungen: Der Auferstandene wird sich nicht zeigen als der Held ohne Wunden. Er bleibt der Verwundete. Die Wundmale heilen nicht zu. Sie werden verklärt, aber sie bleiben offen. So sind sie nicht mehr länger bloß Spuren des Leids, sondern Zeichen der Hoffnung.

(Ein Beitrag der Katholischen Kirche)

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