Zum Schutz der Kinder
16. Oktober 2009Wenn das Grauen Einzug hält, sitzt Björn Sellström meist allein vor dem Bildschirm. Viele tausend Bilder und Videos hat der Leiter der Ermittlungsgruppe gegen Kinderpornografie in seinem Büro im Stockholmer Hauptquartier der schwedischen Kriminalpolizei begutachtet.
Dabei blickt Sellström häufig in die Abgründe der menschlichen Phantasie. Immer dann, wenn er Hinweise aus der Bevölkerung erhält: "Wir schauen uns das Material an und beurteilen, ob es sich dabei um Kinderpornografie handelt", sagt Sellström. Manche Szenen seien nur schwer auszuhalten, bekennt der erfahrene Fahnder, der seit fast 30 Jahren für die Kripo arbeitet: "Es gibt Kleinkinder, die tauchen auf den Bildern immer wieder auf. Nicht selten beginnt der Missbrauch in der Familie."
Wenn die Fahnder illegale Dateien entdecken, übermitteln sie die Web-Adressen an die Provider, damit sie die Kinderporno-Seiten in eine Liste eintragen und sperren lassen. Menschen, die die Porno-Seiten mit dieser Adresse aufrufen wollen, werden automatisch auf ein Stoppschild umgeleitet, das wiederum auf die Sperrung hinweist. In Schweden haben fast alle Internetanbieter einen entsprechenden Vertrag mit der Polizei unterschrieben.
Blockade ohne Strafverfolgung
Über die Wirksamkeit des Verfahrens macht sich Sellström gleichwohl wenig Illusionen: nur für technisch unbedarfte Nutzer seien die Seiten nach der Sperrung nicht mehr sichtbar. Für die kriminelle Klientel sei es hingegen ein Leichtes, die Filter zu umgehen oder auszutricksen: "Nach unserer Statistik werden durch die Blockade täglich 50.000 Anzeigen von Kinderporno-Seiten unterbunden", sagt Sellström. "Wir tun, was wir können, um die Verbreitung zu verhindern."
Viele Hinweise auf illegale Webseiten kommen von der Kinderschutzorganisation ECPAT, die an der Einführung der Web-Sperren in Schweden maßgeblich beteiligt war. "Wer von der Freiheit des Internets spricht, darf die Rechte der Kinder nicht vergessen", meint Sprecher David Lagerlöf. "Die abscheulichen Bilder kursieren in aller Ewigkeit im Web." Den Umfang der kriminellen Aktivitäten und die Gewinne der "Pädo-Mafia" kann auch der ECPAT-Sprecher nur schätzen. Einen Teil der potenziellen Täter könne man aber durch die Stoppmeldung abhalten, so Lagerlöf.
Kritiker wie Rick Falkvinge halten die Web-Sperren für einen weitgehend wirkungslosen Mechanismus, da sich niemand die Mühe mache, die Kinderporno-Seiten tatsächlich aus dem Internet zu verbannen. Nach dem Motto: Aus den Augen aus dem Sinn.
Die Liste des schwedischen Modells ist geheim. Doch nach der Sperrung ist keine richterliche Prüfung vorgesehen. Nach Auffassung des Vorsitzenden der schwedischen Piratenpartei ist die Kombination aus Geheimhaltung der Liste einerseits und keiner richterlichen Prüfung andererseits aber problematisch. Denn dadurch würden Grundrechte verletzt, wie die Informationsfreiheit. "Das ist kein Filter, das ist Zensur", sagt Falkvinge. Man komme nicht an die Täter heran, wenn man ihre Taten verberge. "Auch den Kindern ist damit nicht geholfen. Eine solche vorauseilende Zensur steht in keinem Verhältnis und ist ein klarer Verstoß gegen die Europakonvention", so Falkvinge.
Stopp bei Tauschbörsen
Die Zweifel der Piratenpartei teilen auch Branchengrößen wie der Telekom-Konzern TeliaSonera, der den Datenverkehr von 80 Prozent der europäischen Provider abwickelt. Zwar habe man sich freiwillig der Initiative angeschlossen, betont Patrik Hiselius von der Rechtsabteilung des Konzerns. Von Anfang an habe man aber auch die fehlende Rechtssicherheit angemahnt: "Wir wollen unsere Kunden vor illegalen Inhalten schützen und zugleich die Rekrutierung neuer Konsumenten von Kinderpornografie über das Internet erschweren", betont der Jurist.
Alle Beteiligten seien sich einig, dass sich die Branche mehr anstrengen müsse, um gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern vorzugehen. "Wir halten es allerdings für problematisch, dass die Polizei ohne richterliche Kontrolle eine Beurteilung vornimmt", gibt Hiselius zu bedenken. Auch die fehlende Transparenz habe der Konzern angemahnt - bislang vergeblich.
Es gebe immer wieder Versuche von Interessengruppen, die Liste auf weitere strafbare und unliebsame Inhalte zu erweitern: "In einer staatlichen Untersuchung kam der Vorschlag auf, wir könnten die Auftritte ausländischer Glückspielanbieter im Internet blockieren." Zuletzt habe die Musikindustrie sein Unternehmen aufgefordert, den Zugang zu Tauschbörsen zu unterbinden. "Solche Anliegen weisen wir als Anbieter zurück", sagt Hiselius. "Da sagen wir: Stopp!"
Autor: Alexander Budde
Redaktion: Heidi Engels