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Zum Tode von Tankred Dorst

Jochen Kürten
1. Juni 2017

Er gehörte zu den produktivsten und meistgespielten Autoren an Deutschlands Bühnen und hat das zeitgenössische Theater wie kaum ein anderer bereichert. Jetzt starb der vielfach preisgekrönte Dramatiker mit 91 Jahren.

Tankred Dorst
Bild: Getty Images/J.Simon

Den wichtigsten deutschen Literaturpreis, benannt nach dem Dramatiker Georg Büchner, bekam Tankred Dorst bereits vor 27 Jahren. Der Theaterkritiker Georg Hensel, der die Laudatio hielt, schrieb damals: "In unseren Dezennien hat kein anderer deutscher Stückeschreiber so viele Tonarten, eine solche Orgelbreite: sentimental, treuherzig, tollpatschig, gefühlvoll, humorvoll, ironisch, sarkastisch, zynisch-ordinär, hundsgemein - und immer taghell."

Was treibt den Menschen an? Dorst gab Antworten auf der Bühne

Im Gegensatz zu Büchner, der mit 34 Jahren starb, wurde Dorst sehr alt. Doch beiden, dem stürmischen Dichtergenie aus dem frühen 19. Jahrhundert wie dem Autor zahlreicher Theaterstücke des 20. Jahrhunderts, war eines gemeinsam: der unbedingte Wille, das auf der Bühne abzubilden, was notwendig erschien, um den Mensch und sein Wirken zu hinterfragen und zu erklären. Die Frage nach dem Lauf der Welt, wie die menschliche Psyche funktioniert und welchen Sinn das Leben haben könnte, all das wurde bei Dorst auf hochkomplexe Weise verhandelt.

Früher Theatererfolg mit "Toller" mit Peter Roggisch als Toller und Elisabeth Schwarz als Olga, Aufnahmen einer Stuttgarter Inszenierung im Jahre 1968Bild: picture-alliance/dpa

Beide, Büchner wie Dorst, nahmen dafür auch bekannte Persönlichkeiten aus der Historie ins Visier, schrieben ihre Texte über Geschichte und Vergangenes, zeigten aber auch immer auf, was das für den modernen Menschen zu bedeuten hatte. Büchner nahm sich den französischen Revolutionär Danton vor oder den deutschen Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz vor. Dorst arbeitete sich an Schriftstellern wie Ernst Toller oder Knut Hamsun ab: "Dorsts Stücke haben alle einen direkten Bezug zur Gegenwart: von Toller bis Hamsun, vom Lehrstück zum Mythos und zur postmodernen Explosion", so Georg Hensel in seiner Laudatio 1990.

Großer Erfolg mit "Merlin" 1981

Doch der am 19. Dezember 1931 in Thüringen geborene Tankred Dorst hatte auch großes Interesse an einem Spiel mit Gestalten, deren Herkunft eher mythischen Welten entstammten. "Merlin oder das wüste Land" heißt sein wohl bis heute bekanntestes Theaterstück, das 1981 im Schauspielhaus Düsseldorf seine Uraufführung erlebte und seitdem an zahlreichen anderen Bühnen nachgespielt wurde.

Auch heute noch oft nachgespielt: Dorsts moderner Klassiker "Merlin oder Das wüste Land"Bild: Imago/T. Müller

Darin setzte sich Tankred Dorst mit den mythischen Gestalten um König Arthus und dessen Tafelrunde auseinander - aber auch mit den viele Bearbeitungen des Stoffes von Dichtern und Denkern späterer Jahrhunderte. "Die Ritter von Dorsts Tafelrunde gehorchen Gott, schlagen frohgemut einander tot, reden gemäßigt anachronistisch und schützen eine literarische Liebe vor, wenn sie mit einer Frau ins Bett wollen", skizzierte der Dorst-Experte Hensel den Duktus des Stücks. Idealismus und hohe Kunst sowie menschlicher Blutdurst und ganz profane Bedürfnisse - all das lag bei Dorst in "Merlin", aber auch in anderen Stücken, oft nah beieinander.

"Der Wunsch, die Phantasie des Zuschauers anzuregen"

Nach früher Konzentration auf überschaubare Sujets sprengte Tankred Dorst in seinen späteren Stücken thematische und auch formale Grenzen. "Was mich an 'Merlin' interessiert hat", sagte der Autor einmal, "das war die Möglichkeit größere Bilder hervorzubringen, die Phantasie des Zuschauers auf etwas Größeres zu richten und beim Schreiben zu erleben, wie der Kleinrealismus irgendwo eine Grenze hat."

Dorst hatte Erfolg mit diesem Rezept. Seine ausufernden Bühnenstücke reizten viele bekannte Regisseure zu inszenatorischen Großtaten. Daran konnten sie sich abarbeiten. "Merlin" bestand aus nicht weniger als 97 einzelnen Szenen - manche Inszenierungen dauerten acht Stunden. Das stellte auch Bühnenbildner und Kostümabteilungen vor enorme Herausforderungen. In den 1980er und 1990er Jahren, als das deutsche Sprechtheater in vielen deutschen Großstädten noch unumstritten war, war Dorst ein äußerst gefragter Mann.

Gerhard Olschewski brillierte 1983 als Hans "Eisenhans" Schroth in Dorsts Film "Eisenhans"Bild: picture-alliance/United Archive

Doch Dorst konnte auch anders. Als Sohn eines Ingenieurs und Fabrikbesitzers, auch die Mutter war Fabrikantentochter, schwebte der Autor nicht über den profanen Dingen des Lebens. Das hatte wohl auch mit eigenen Erfahrungen zu tun. Dorst war zwei Jahre vor Ende des Zweiten Weltkriegs zum Reichsarbeitsdienst berufen worden, ein Jahr später folgte die Wehrmacht. Der spätere Autor wurde von alliierten Truppen gefangengenommen und kehrte 1947 aus britischer und amerikanischer Kriegsgefangenschaft zurück.

Dorst begann mit Marionetten und endete bei den großen Mythen

Nach Abitur und geisteswissenschaftlichem Studium begann er zunächst bei einem Marionetten-Theater. In den frühen 1960er Jahren hatte er rasch Erfolg als Autor mit eigenen Theaterstücken, zunächst in Lübeck und Mannheim. Bereits in diesen Jahren begann seine lang andauernde, fruchtbare Arbeitsbeziehung zu dem Regisseur Peter Zadek, der viele von Dorsts Stücken auf die Bühne brachte. Später gehörten auch Regisseure wie Peter Palitzsch und Dieter Dorn zu seinen engen künstlerischen Partnern.

In Dorsts Stücken verbinden sich nicht selten Historisches und Gegenwärtiges - hier eine Aufführung von "Merlin" mit modernen KostümenBild: picture-alliance/dpa/B. Thissen

Mit Peter Zadek arbeitete er auch mehrfach bei Fernsehspielen zusammen, Dorst schrieb die Vorlagen, Zadek inszenierte. Auch als Regisseur versuchte sich Tankred Dorst. Sein Spielfilm "Eisenhans" gehörte 1983 zu den eindringlichsten Werken jener Jahre im deutschen Kino. Anders als in vielen Theaterstücken blickte Tankred Dorst in Regiearbeiten wie "Eisenhans" ganz direkt und ohne ästhetische Umwege auf die psychische Not des einzelnen Individuums. Das Porträt eines LKW-Fahrers in "Eisenhans" zeichnete das ergreifende Bild eines Proletariers, der gequält wurde und jetzt selbst quält.

In Bayreuth hatte Tankred Dorst weniger Erfolg

Vor gut einem Jahrzehnt stand Tankred Dorst dann plötzlich noch einmal im Licht der künstlerischen Öffentlichkeit. Überraschend sagte er zu, in Bayreuth die Regie des "Ring" zu übernehmen. Dorst war damals schon 80. Der eigentlich vorgesehene dänische Filmregisseur Lars von Trier war kurzfristig abgesprungen. Dorst gab also sein spätes Debüt als Opernregisseur., hatte damit allerdings wenig Erfolg. Die Reaktionen auf seine Inszenierung fielen negativ aus.

Seinem Arbeitseifer tat das keinen Abbruch. Tankred Dorst schrieb fleißig weiter, Theaterstücke, auch Prosa und Hörspiele. Jetzt ist Tankred Dorst, der seit den 1970er Jahren eng mit seiner damaligen Lebensgefährtin und späteren Ehefrau Ursula Ehler zusammenarbeitete, im Alter von 91 Jahren in Berlin gestorben. Das Werk von Tankred Dorst erscheint in Deutschland beim renommierten Suhrkamp-Verlag.

 

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