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Zurück in die Armut: Massenabschiebungen aus Saudi Arabien

Ludger Schadomsky1. Dezember 2013

"Saudis zuerst!" Weil das Ölland mit steigender Arbeitslosigkeit kämpft, deportiert es Zehntausende Arbeitsmigranten, vor allem Äthiopier. In ihrer armen Heimat stehen sie vor dem Nichts.

Foreign workers wait for a taxi as they leave the Manfuhah neighbourhood of the Saudi capital Riyadh Foto: FAYEZ NURELDINE/AFP/Getty Images
Bild: AFP/Getty Images

"Ich habe furchtbare Dinge erlebt", erzählt ein junger Mann am Flughafen von Addis Abeba, der gerade mit einem Flugzeug aus Saudi Arabien angekommen ist. "Saudische Jugendmilizen haben uns Äthiopiern schlimme Dinge angetan. Sie haben einige von uns getötet, sie haben Frauen verschleppt, vergewaltigt und ebenfalls getötet". Das Schicksal des Mannes ist kein Einzelfall. Er ist einer von rund 50.000 Äthiopiern, die illegal in Saudi-Arabien gearbeitet haben und in den vergangenen Tagen und Wochen festgenommen und abgeschoben wurden. Die Regierung in Addis Abeba bestätigt bisher offiziell den Tod von drei Staatsbürgern.

"Im Abschiebgefängnis haben sie uns trockene Kekse, Wasser und ein Taschengeld von 900 äthiopischen Birr (knapp 35 Euro) gegeben", erzählt eine junge Frau im Flughafenterminal. "Damit konnte ich mir die Hose kaufen, die ich am Körper trage, sonst habe ich nichts. Was soll nur aus mir werden?" Die Aussagen der meist jungen Männer und Frauen, die Saudi Arabien verlassen mussten, ähneln sich. Viele erzählen von Gewalt und Fremdenhass, die ihnen widerfuhren.

Alle Heimkehrer eint die Sorge um ihre Zukunft in Äthiopien, das noch immer zu den ärmsten Ländern der Welt zählt. Die Zahl der Rückkehrer dürfte dabei noch wachsen. Niemand wisse, wie viele Landsleute sich illegal in Saudi Arabien aufhielten, sagt Regierungssprecher Getachew Reda der DW. Inzwischen hat das Außenministerium in Addis Abeba die Zahl der Rückkehrer insgesamt auf 80.000 geschätzt.

Exil-Äthiopier demonstrieren in Paris gegen die Massenabschiebung äthiopischer Gastarbeiter aus Saudi ArabienBild: DW/H. T. Torode

Schutzlose Migranten

Bisher kannte Äthiopien einen Massenexodus in umgekehrter Richtung: Jedes Jahr verlassen Zehntausende junge Mädchen das Land, um sich im Saudi Arabien oder in den benachbarten Golfstaaten als Hausangstellte oder Babysitterinnen zu verdingen. Allein für 2012 veranschlagte das Arbeitsministerium in Addis Abeba die Zahl der Auswanderinnen auf 200.000.

Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International und die Internationale Arbeitsorganisation haben dokumentiert, wie die Wanderarbeiter in arabischen Ländern physischer Gewalt, ungesunden Arbeitsverhältnissen und Diskriminierungen ausgesetzt sind. Verantwortlich machen sie dafür das "Kafala"- oder "Sponsoren"-System, das auch im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen im Gastgeberland der Fussball-WM 2022, Katar, in die Kritik geriet. Demnach bürgen Arbeitgeber gegenüber dem Staat für ausländische Angestellte, die ihnen damit auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Die Arbeitgeber hätten außergewöhnliche Macht über das Leben dieser Angestellten, kritisierte jüngst Human Rights Watch. So hätten Arbeitnehmer etwa kein Recht, sich zu organisieren oder gemeinsam zu verhandeln.

Schmuddeljobs auch für Saudis

Hintergrund der Eskalation in den traditionell engen Beziehungen zwischen Äthiopien und Saudi-Arabien ist die hohe Arbeitslosigkeit von über zwölf Prozent im Königreich. Mit der umfassenden Kampagne gegen illegale Ausländer sollen Dienstleistungsjobs für Saudis freigemacht werden, die bisher nahezu ausschließlich von Fremden erledigt wurden. 27 Millionen Saudis stand bis vor kurzem ein Heer von neun Millionen ausländischen Arbeitskräften gegenüber.

Äthiopische Sicherheitskräfte lösen eine Demonstration vor der saudischen Botschaft in Addis Abeba aufBild: DW

Allerdings geriet die Abschiebekampagne schnell außer Kontrolle. Deportierte berichten von Gewalt durch die Behörden und saudische Bürger. In Manfuhah, dem heruntergekommenen Einwandererviertel von Riad, lieferten sich bewaffnete Äthiopier mit Messern, Steinen und Flaschen Straßenschlachten mit saudischen Jugendmilizen und Sicherheitskräften. Es gab Todesopfer auf beiden Seiten.

Eine Hand wäscht nicht die andere

Die äthiopische Regierung versucht einen Spagat zwischen Entrüstung und stiller Diplomatie. Eine Demonstration vor der saudischen Botschaft in Addis Abeba wurde gewaltsam aufgelöst. Saudi Arabien ist einer der größten Handelspartner und Investoren in Äthiopien. Jedes Jahr reisen zudem Tausende muslimische Pilger aus Äthiopien zu den heiligen Stätten des Islam nach Saudi Arabien. "War es nicht der Prophet selbst, der seine Anhänger nach Äthiopien ins Exil geschickt hat, um sie dort in Sicherheit zu bringen?", fragen aufgebrachte Äthiopier in Chatforen mit Verweis auf die historischen Verbindungen zwischen beiden Ländern. "Zeigen Sie Ihre Dankbarkeit, indem Sie heute Äthiopier misshandeln lassen, Majestät?", fragen sie den saudischen König in Petitionen.

Die Massen-Rückführung belastet nicht nur die klamme äthiopische Staatskasse: Der Heimtransport der eigenen Bürger wird mit knapp 2 Millionen Euro veranschlagt. Der volkswirtschaftliche Schaden dürfte durch das Ausbleiben der Rücküberweisungen Zehntausender Auslandsäthiopier noch höher sein, sagt der Ökonom Getachew Belete in Addis Abeba. "Jeden Tag landen nun zehn Maschinen mit Rückkehrern. Alle diese Menschen haben ihre Familien daheim unterstützt", erklärt Belete. "Ein Arbeiter in Saudi Arabien ernährt im Schnitt fünf Familienmitglieder in Äthiopien." Der Wirtschaftsberater fürchtet angesichts der hohen Arbeitslosigkeit, dass viele der zurückgekehrten Frauen in die Prostitution abrutschen könnten - sozialer Sprengstoff im tief religiösen und konservativen Äthiopien.

Ein äthiopischer Gastarbeiter zeigt seinen Pass außerhalb eines Arbeitsamtes in RiadBild: Reuters/Faisal Al Nasser

Die junge Heimkehrerin, die gerade am Flughafen in Addis Abeba angekommen ist, hat allerdings andere Pläne: "Wir warten jetzt ab, bis sich die Wogen geglättet haben, und dann gehen wir nach Saudi Arabien zurück. Aber dieses Mal mit legalem Status." Zwar hat die äthiopische Regierung einen sechsmonatigen Ausreisestopp in das Königreich verhängt. Doch wie die junge Frau ziehen Hunderttausende Äthiopier Ausbeutung und Gewalt in der Ferne der Armut in Äthiopien vor.

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