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Zurück in die Heimat

Aygül Cizmecioglu30. Januar 2007

Zwischen Anspannung und Annäherung schwankt die Beziehung zwischen Deutschland und Polen seit Jahren. Eine ungewöhnliche Reiseagentur sorgt für etwas mehr Verständnis zwischen Deutschen und Polen.

Alte Synagoge in Krakau
HeimatReise aus Frankfurt/O bietet Reisen in die Vergangenheit - auch zur alten Synagoge in KrakauBild: Leszek Dziedzic,

Ein kleines Hinterhofbüro mitten in Frankfurt/Oder. Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee und polnischen Waffeln liegt in der Luft. Dicke Geschichtslexika, Landkarten und Wörterbücher stapeln sich auf den zwei wackligen Schreibtischen. Während Julia Gerstenberg versucht, eine alte polnische Urkunde zu entziffern, beantwortet Jacqueline Nießer geduldig am Telefon die Fragen von Interessenten. Täglich rufen Dutzende von ihnen hier im Büro von "Heimatreise" an. Die Agentur recherchiert für deutsche Familien ihre Geschichte in Polen und organisiert Reisen für Vertriebene und deren Nachkommen in die alte Heimat – inklusive Dolmetscherdienste. Acht deutsche und acht polnische Studenten der Europa-Universität Viadrina haben Ende 2004 die Reiseagentur gegründet – einzigartig in ganz Deutschland. Heimatreise sei entstanden, als die Emotionen zwischen Deutschen und Polen besonders hoch gekocht seien, weil die preußische Treuhand angekündigt habe, Grundbesitzansprüche vor internationalen Gerichten einzuklagen, erklärt Jacqueline Nießer. "Wir haben dann hier in Frankfurt/Oder an der deutsch-polnischen Grenze überlegt, was können wir im Kleinen, im Zwischenmenschlichen, dagegen setzen?"

Große Nachfrage

Jacqueline Nießer ist 27 und engagiert sich, wie alle anderen, ehrenamtlich für das Projekt. Rund zehn Touren haben die jungen Kulturwissenschaftler und Historiker bis jetzt schon auf die Beine gestellt – nach Pommern, ins Lebuser Land und in die Neumark. Die Nachfrage ist riesig und das Motto lautet: Geschichte erlebbar machen. Anlass für die Reisen seien häufig runde Geburtstage und die Söhne oder Töchter wollen ihren Eltern dann eine Reise in die alte Heimat schenken und selbst auch mitfahren, sagt Nießer. "Das ist sehr wichtig, weil wir nicht in der Vergangenheit rumstochern, sondern die Geschichte als Anstoß nehmen möchten, um auch über das heutige Polen und die Menschen dort zu erzählen."

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Detektiv-Arbeit

Die Studenten von "Heimatreise" begreifen sich als Reiseleiter und Detektive. In mühevoller Kleinarbeit, setzen sie winzige Informationssplitter zu einer Familiengeschichte zusammen. So wie die von Detlef Mielke. Am Anfang hatte der 69-jährige Rentner nichts außer ein paar vergilbten Fotos und vagen Jahreszahlen. Die Studenten recherchierten in polnischen Archiven, befragten Lokalhistoriker und nach einigen Monaten war es dann soweit. Detlef Mielke reiste zum Hof seiner einstigen Vorfahren. Seine Familie selbst kommt aus Stodolsko, ungefähr 65 Kilometer vor Posen. "Mein Vater wurde 1910 dort auch geboren aber, was nützt das alles, 1923 mussten sie dann raus", erzählt der Rentner. Sein Vater habe nur wenn irgendwelche Feierlichkeiten waren, mit ihm über die Heimat gesprochen. "Ich wollte nur mal sehen, ob das alles was ich von seinen Erzählungen im Kopf habe, auch in der Realität so ist. Mir ging es darum, den Grund der Familie zu erforschen, wo wir herkommen. Jeder will doch wissen wo sein Ursprung ist!“

Falsche Erwartungen

Doch was Detlef Mielke sah, enttäuschte ihn etwas. Nichts von dem Anwesen, das sein Vater ihm einst in leuchtenden Farben beschrieben hatte, war zu finden. Stattdessen ein kleiner Bauernhof mit Ökobetrieb. Hohe Erwartungen, verklärte Kindheitserinnerungen – das alles sei ein großes Problem, wirft Jacqueline Nießer ein. Zuhören sei das Wichtigste, um solche Situationen bewältigen zu können. Doch Emotionen gebe es nicht nur bei den deutschen Reisenden.

Missverständnissen vorbeugen

Für die polnische Seite sei es sehr wichtig, dass man bei allem, was man tue, erst einmal klarstelle, dass man keine Ansprüche habe, sagt sie. Außerdem sei es wichtig, dass es auch junge Leute seien, die die Reisen begleiteten. "Leute, die eben keine erlebte Erfahrung haben. Wenn die Anwohner dann merken, dass wir sehr gut Polnisch sprechen können, dann sind sie auch gerne bereit zu erzählen." Diese Menschen seien auch umgesiedelt oder vertrieben worden und sie hätten genauso eine Vertreibungsgeschichte zu erzählen, die dann wiederum verbinde, fügt Nießer hinzu.

Und genau um diesen Dialog geht es bei dem Projekt "Heimatreise", um die Verständigung, nicht nur zwischen zwei Kulturen, sondern auch zwischen Generationen. Der Austausch mit den jungen Leuten, sei so etwas wie eine Energiespritze für ihn, sagt Detlef Mielke. Er ist seit seiner Geschichtsreise, Stammgast in dem kleinen Büro und unterstützt das Team. Mielke hat sogar angefangen, Polnisch zu lernen. Schließlich will er in Zukunft öfter verreisen - vor allem auf die andere Seite der Oder.

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