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Politik

Zurück nach Deutschland? Die Frauen des "IS"

16. Dezember 2017

Nach der Niederlage der Terrororganisation "Islamischer Staat" wollen auch einige weibliche Mitglieder zurück nach Deutschland. Den Staat stellt das vor große Probleme. Die beschränken sich nicht auf Sicherheitsfragen.

IS Miliz Frauen Muslima
Bild: picture-alliance/dpa/Syriadeeply.org

Mitkommen würde sie schon gerne, sagt Linda W. zum Abschied. Soeben hat sie ihre Mutter und ihre Schwester getroffen, begleitet von Journalisten des Rechercheteams der Süddeutschen Zeitung, des Norddeutschen und des Südwestdeutschen Rundfunks (NDR und SWR). Verschlossen erst, dann immer offener hat die 17-Jährige, die nach ihrer Verhaftung vor einigen Monaten in einem Bagdader Gefängnis sitzt, von ihrer Zeit bei der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) erzählt. Im Sommer vergangenen Jahres war die junge Deutsche heimlich nach Syrien gereist,wo sie sich dem IS anschloss. Während dieser Zeit habe sie vornehmlich im Haus gearbeitet, erklärt sie, und sich zudem um die Kinder anderer Frauen gekümmert. 

Kann man Linda W. trauen? Am Ende, so der Eindruck der Reporter in der Süddeutschen Zeitung, bleiben Fragen offen: "Ist sie eine hilfsbedürftige Jugendliche, die auf einen Irrweg geraten ist, oder eine Kämpferin, die freiwillig einem Terrorregime diente?" Darüber endgültig zu urteilen, trauen die Journalisten sich nicht zu: "Womöglich liegt die Wahrheit dazwischen", vermuten sie.

Vielleicht kennt nicht einmal Linda W. die Wahrheit, ihre eigene Wahrheit. Dabei käme es darauf an, diese Wahrheit zu kennen. Denn Linda W. käme gerne zurück nach Deutschland. Auch andere Frauen deutscher Staatsangehörigkeit haben diesen Wunsch. Die Deutsch-Libanesin Nadja Ramadan etwa, die seit ihrer Verhaftung in einem syrischen Gefängnis sitzt. Auch sie hatte sich dem IS angeschlossen. Vor einigen Monaten bat sie in einem Video die deutsche Bundeskanzlerin öffentlich um Hilfe.

Linda W. nach ihrer Verhaftung im Sommer 2017Bild: Youtube

Halbherzige Distanzierung?

Was also tun? Der deutsche Staat kann helfen, muss es aber nicht. Der Ermessensspielraum ist groß. Zahlreiche Fragen spielen bei der Abwägung eine Rolle, nicht zuletzt die, wie gefährlich die verhafteten Dschihadistinnen sind, und welche Gefahr von ihnen ausgeht.

"Diese Frage lässt sich kaum angemessen beantworten", sagt Mitra Moussa Nabo vom wissenschaftlichen Fachdienst Nationales Zentrum Kriminalprävention (NZK) in Bonn. Man müsse jeden Fall einzeln betrachten, dazu möglichst auf Grundlage direkter Eindrücke. In der Summe seien die Aussagen rückkehrwilliger Dschihadistinnen aber mit Vorsicht zu betrachten. "Insgesamt erwecken viele Distanzierungen den Eindruck, sie seien eher halbherzig. Bei einer ganzen Reihe von möglichen Rückkehrerinnen muss man wohl davon ausgehen, dass sie zwar ernüchternde Erfahrungen gemacht haben, aber trotzdem nicht völlig desillusioniert sind. Vielmehr haben sie ihre Erfahrungen in ihr Weltbild integriert und stehen dem Dschihadismus weiterhin positiv gegenüber." Ich schließe allerdings nicht aus, dass einige Frauen ihr Engagement bereuten."

Letzte Gewissheit, ob sich Dschihadistinnen, die aus den Kampfgebieten im Nahen Osten zurückkehren, tatsächlich vom religiösen Extremismus losgesagt haben, wird sich kaum jemals erhalten lassen. "Frauen, die in den vergangenen Jahren in IS-Gebieten gelebt haben, sind oftmals derart radikalisiert und identifizieren sich so mit der IS-Ideologie, dass man sie mit Fug und Recht auch als Dschihadistinnen bezeichnen kann", sagte der Chef des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, Anfang Dezember.

"Physisch in gutem Zustand"

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Schuld und Verantwortung

Sicherheit ist nicht das einzige Thema, das bei der Diskussion um Deutschlands Rolle bei der Rückkehr verhafteter deutscher Dschihadistinnen eine Rolle spielt. Hinzu kommt die Frage nach der ethischen und juristischen Schuld, die diese Frauen womöglich mit sich tragen. "Wie soll der deutsche Staat umgehen mit Menschen, die überzeugt davon sind, dass das Leben eines Ungläubigen weniger wert ist als das einer Fliege", fragt der Journalist Wolfgang Bauer, der Nadja Ramadan für die Wochenzeitung DIE ZEIT in ihrem Gefängnis in Syrien interviewt hat.

Die Frage stellt sich auch darum, weil bei den meisten Dschihadistinnen ungewiss ist, welche Aufgaben ihnen in den Reihen des IS anvertraut wurden. Er schließe nicht aus, dass diese Frauen nicht nur Hausfrauen und Mütter waren, sondern beispielsweise auch in den Sicherheitsstrukturen oder der "IS-Polizei" tätig waren, sagt Mitra Moussa Nabo. "Auch der Dienst an der Waffe ist nicht auszuschließen. Die Frauen wurden in Teilen gemäß ihren Fähigkeiten eingesetzt."

Die Perspektive der Opfer

Doch wo immer sie sich engagierten: Die Frauen waren Teil einer Organisation, die andere Menschen über Jahre terrorisiert, gefoltert und getötet hat, die sich Menschenrechtsverletzungen schlimmster Art schuldig gemacht hat. Die Dschihadistinnen waren mit Männern verheiratet, die andere Frauen -Jesidinnen etwa - raubten, vergewaltigten und verkauften. Die ihre Opfer enthaupteten, verbrannten, ertränkten, aus Gebäuden in die Tiefe stürzten oder auf die Straße legten und mit langsam rollenden Panzern zerquetschten.

Jesidinnen auf der Flucht vor dem "IS", August 2014Bild: picture-alliance/abaca/Depo Photos

Angesichts dieser Taten dürften die Opfer des IS es als Hohn empfinden, wenn die Ehefrauen der Täter sich dank ihrer deutschen Staatsangehörigkeit ihrer Verantwortung vor syrischen Gerichten entziehen könnten. Nun, nach der Niederlage des IS, suchen die Dschihadistinnen den Schutz eben jener rechtstaatlichen Ordnung, die sie bislang ablehnten. Eine Übereinkunft zur Überstellung nach Deutschland, sagt Mitra Moussa Nabo, wäre vielen Menschen in Syrien und im Irak schwer vermittelbar. "Denn diese Frauen haben direkt oder indirekt vor Ort ja sehr viel Leid verursacht."

Die Diskussion um die Rückkehr deutscher Bürgerinnen, die sich in Syrien oder im Irak in den Reihen des IS oder anderer dschihadistischer Organisationen engagierten, hat gerade erst begonnen. Sie ist hochgradig heikel. Der Staat muss einerseits das Resozialisierungsrecht der Rückkehrerinnen bewerten. Andererseits aber auch die Rechte und Ansprüche der Opfer des Dschihadismus. Zudem muss er das Sicherheitsbedürfnis der deutschen Bevölkerung berücksichtigen. Juristisch und ethisch befriedigend dürften diese teils miteinander konkurrierenden Aspekte kaum lösbar sein.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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