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Zurück zu den Menschen: Die Grünen auf Identitätssuche

7. Juli 2025

Die vorgezogene Bundestagswahl haben die Grünen verloren, sie sind aus der Regierung ausgeschieden. Jetzt wollen sie sich neu aufstellen - und den Menschen besser zuhören.

Grünen-Parteitag
"Zuversicht" war ein Schlagwort der Grünen im Wahlkampf. Das Ergebnis war mit nicht einmal 12 Prozent der Stimmen ernüchterndBild: dts Nachrichtenagentur/picture alliance

In diesen Tagen herrschen in Deutschland ungewöhnlich hohe Temperaturen. Mitte vergangener Woche stieg das Thermometer in Köln und Hamburg auf bis zu 37 Grad. Radiosender gaben Tipps, wie man mit der Hitze umgehen kann, und wiesen darauf hin, dass solche frühzeitigen Hitzewellen im Sommer bislang selten waren. Ursache dafür sei der Klimawandel, dessen Auswirkungen auch in Mitteleuropa immer stärker spürbar werden. 

Grüne ringen mit sich selbst

Eigentlich wäre jetzt Zeit für die Grünen, sich in der öffentlichen Debatte rund um den Klimaschutz deutlich zu positionieren - schließlich ist der Kampf gegen den Klimawandel ihr zentrales Thema. Doch die Partei steht vor inneren Herausforderungen. Rund zwei Monate nach dem Verlust ihrer Macht in Berlin, sucht sie immer noch nach ihrer Rolle und dem richtigen Weg, um mit den Menschen im Land in Kontakt zu treten - auch angesichts der aktuellen Hitzewelle.

Ein Ideenpapier der Fraktionsführung

Die beiden Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, Britta Haßelmann und Katharina Dröge, haben jetzt ein Strategiepapier vorgelegt, wie es mit ihrer Partei weitergehen soll in der Opposition. Beide machen deutlich: Eine Abrechnung mit der früheren Führungsspitze der Partei ist das nicht.

"Wir sagen sehr selbstbewusst: Das Regieren hat sich gelohnt. Wir haben das Land klimaneutraler, gerechter, fortschrittlicher gemacht. Aber jetzt braucht es eine Neuaufstellung der Grünen in der Opposition", sagt Katharina Dröge.

Die grünen Fraktionschefinnen Katharina Dröge und Britta Haßelmann wollen den Menschen in Deutschland besser zuhörenBild: Martin Schutt/picture alliance/dpa

Wenn jedoch innerhalb der Grünen immer noch Meldungen für große Aufregung sorgen - wie etwa das Verbot der neuen CDU-Bildungsministerin Karin Prien, Beamten die Nutzung des "Gendersternchens"  zu untersagen - reagiert Britta Haßelmann darauf zurückhaltend: "Wen interessiert das? Für Menschen, die alleinerziehend sind, Familie und Beruf unter einen Hut bringen müssen und sich vielleicht nicht einmal eine Woche Urlaub leisten können, hat das wenig mit ihrer Lebensrealität zu tun."

Die Wahl: Ein harte Zäsur für die Grünen, auch personell

Die vorgezogene Bundestagswahl im Februar war für die Partei  eine Zäsur in vielerlei Hinsicht: Das Ergebnis von gerade einmal 11,6 Prozent der Stimmen war ernüchternd,  und der Traum, es doch noch einmal in die Regierung zu schaffen, diesmal mit den Konservativen und Sozialdemokraten, war schnell verflogen.

Die zentralen Führungsfiguren, Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock, verkündeten nach der Wahl, sich aus der ersten Reihe der Partei zurückziehen zu wollen. Habeck ist jetzt nur Bundestagsabgeordneter, Baerbock wurde zur neuen Präsidentin der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York gewählt. Im September wird sie offiziell in ihr neues Amt eingeführt. Fernab vom politischen Berlin. Ihr Bundestagsmandat legt sie nieder.

Den Grünen fehlt es an Personal - vor allem im Osten

Jetzt wollen die verbliebenen Spitzen-Grünen den Menschen in Deutschland noch näher kommen. Zu lange, argumentieren die beiden Frauen an der Fraktionsspitze, seien die Grünen in weiten Teilen der Bevölkerung als Verbotspartei wahrgenommen worden. So habe das verunglückte Heizungsgesetz von Robert Habeck  bei den Menschen den Eindruck hinterlassen, die Grünen würden ihnen den Einbau von teuren Wärmepumpen vorschreiben. Und sich wenig darum kümmern, ob sie sich das auch leisten können.

Toni Hofreiter: "Bei den globalen Krisen brauchen wir Antworten auf Augenhöhe"Bild: Tina Gerhäusser/DW

Das wollen sie jetzt anders machen und besser zuhören. Aber es könnte schwierig werden. Denn den Grünen fehlt es vor allem in Ostdeutschland an Personal, das auf die Menschen konkret zugehen kann. Zwar gibt es momentan mit rund 180.000 Mitgliedern so viele Grüne wie noch nie, aber im Osten sind es gerade einmal 14.000 - in allen fünf Bundesländern zusammen. Und die Zahl der aktiven Mitglieder ist noch geringer. 

Immer noch mehr Regierungs- als Oppositionspartei?

Als sich die neue Regierung aus Konservativen und Sozialdemokraten entschloss, eine Billion Euro an neuen Schulden für die Aufrüstung der Bundeswehr und für den Bau neuer Straßen, Schulen und Bahnhöfe aufzunehmen, stimmten die Grünen zu. 

Für den Klimaschutz konnten sie rund 100 Milliarden Euro zusätzlich in den nächsten Jahren aushandeln.  Und auch mit der konsequenten Unterstützung der Ukraine im Kampf gegen Russland, die die neue Regierung vorantreiben will, haben die Grünen kaum Probleme. Der frühere Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Toni Hofreiter,  betont allerdings im Gespräch mit der DW: "Wir brauchen Antworten auf die große Wohnungsnot in Deutschland. Außerdem müssen wir angesichts globaler Krisen – dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, der Eskalation im Nahen Osten, der Bedrohung der Demokratie durch Populismus und Autokraten sowie der Klimakrise – auf Augenhöhe reagieren. Diese Krisen verunsichern viele Menschen zutiefst". 

Britta Haßelmann im DW-Gespräch: "Die Debatte um das Gendersternchen interessiert viele Menschen gar nicht"Bild: Jens Thurau/DW

Klimaschutz aktuell nicht sehr populär

Vielleicht, meint Katharina Dröge, lässt sich der neue Ansatz, den Bürgerinnen und Bürgern besser zuzuhören, mit dem alten Markenkern, dem Klimaschutz, verbinden: "Die Menschen leiden unter der Hitze. Ältere Menschen müssen wir davor schützen. Vor den erheblichen gesundheitlichen Risiken. Und trotzdem spielt der Klimaschutz nicht die Rolle, die er haben sollte", sagt sie im Hinblick auf die neue Regierung. Aber das ganze Thema Kampf gegen die Erderwärmung ist gerade nicht sehr populär. Schwere Zeiten sind das für die Grünen, die frühere Regierungspartei.