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Politik

Zuwanderung auf Zeit? Experten plädieren für Kautionsmodell

Kay-Alexander Scholz
29. April 2020

Kommt die Idee der "Gastarbeiter" zurück? Ein Expertenrat setzt sich für ein Modell ein, bei dem Migranten Kaution bezahlen und keine Schlepper. Es erinnert an die Anwerbung von Arbeitern im Ausland in den 1960er Jahren.

Mittelmeer MS Aquarius geretteter Bootsflüchtling
Bild: picture-alliance/NurPhoto/M. Panzetti

Seit zwölf Jahren gibt es den Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration. In dieser Zeit hat sich der SVR abgekürzte Think Tank aus Berlin einen wichtigen Platz in der Diskussion um Zuwanderung, Migration und Flüchtlinge erarbeitet. Jetzt haben die Migrationsexperten ein neues Modell für Arbeitsmigration aus afrikanischen Ländern in EU-Staaten vorgestellt. Im Zentrum des Modells steht ein "temporäres Arbeitsvisum gegen Kaution". 

Funktionieren soll das so: Bürger aus Afrika hinterlegen bei einem EU-Land ihrer Wahl eine Geldsumme als Kaution. Damit erwerben sie das Recht, dort für einen gewissen Zeitraum einzureisen um zu arbeiten. Im Zielland dürfen sie keine steuerfinanzierten Sozialleistungen in Anspruch nehmen. Nach Ablauf der Frist müssen sie in ihr afrikanisches Herkunftsland rückkehren und erhalten dann die Kaution wieder ausgezahlt. Die Arbeitsmigranten sollen das wiederholt machen dürfen, die SVR-Experten sprechen von "zirkulärer Migration".

Die lebensgefährliche Mittelmeer-Überquerung mit Schlepperbooten soll überflüssig werdenBild: picture-alliance/dpa/SOS MEDITERRANEE/L. Schmid

Vor allem zwei Dinge sollen mit dem Kautionsmodell erreicht werden, sagte die Vorsitzende des Rates, Petra Bendel, bei der Präsentation des SVR-Jahresgutachtens in einer Videokonferenz: Zum einem soll dieser neue Weg für reguläre Migration eine Alternative zu Schlepperbanden und den oft lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer bieten. Zum anderen soll der Arbeitsmarkt in der EU vor allem für einfache Jobs, also niedrig Qualifizierte geöffnet – eine von Arbeitgeber-Verbänden immer wieder erhobene Forderung.

Von einer Triple-Win-Situation sprach der Sachverständige Daniel Thym: - das Herkunftsland, das Zielland und die Migranten selbst - alle sollen von der Zuwanderung auf Zeit profitieren.

Voraussetzungen: Kaution und Kooperation

Damit das funktioniert, müssten sich allerdings die Herkunftsstaaten der Migranten in Afrika vertraglich bereit erklären, ihre Bürger auch wieder zurück zu nehmen. Solche Rücknahmeabkommen sind erfahrungsgemäß keine Selbstverständlichkeit. Sie könnten aber befördert werden, weil mit dem Modell ein "Angebot auf Augenhöhe" entstünde, glaubt die Vorsitzende Bendel. Die Rückkehrer könnten zudem Geld und Wissen aus Europa in Afrika investieren, eine Firma gründen oder dort in den Arbeitsmarkt einsteigen.

Andererseits sei es aus Gründen der Akzeptanz für die Bevölkerung in den EU-Staaten wichtig zu wissen, dass Rückführungen tatsächlich funktionieren. Ratsmitglied Claudia Diehl erinnerte an die Geschichte der Gastarbeiter in Deutschland. Vor allem in den 1960er-Jahren kamen damals so genannte Gastarbeiter aus Südeuropa oder Nordafrika zum Arbeiten nach Deutschland. Die meisten kehrten später nicht in ihre alte Heimat zurück.

Auch mit dem Kautionsmodell soll es möglich sein, länger in Deutschland zu bleiben. Das soll über einen sogenannten Spurwechsel funktionieren. Bei entsprechenden Deutsch-Kenntnissen wäre auch ein Aufenthalt für eine Berufsausbildung und eine anschließende Erwerbsarbeit möglich. Aber diese Möglichkeiten stünden nicht im Fokus des neuen Modells, versichern die Autoren des Gutachtens.

Neuer EU-Schwerpunkt Afrika

In diesem bislang elften Jahresgutachten hat sich der Sachverständigenrat zum ersten Mal mit Afrika befasst. Vielleicht, weil das Gutachten auch zum ersten Mal zu 95 Prozent vom Bundesinnenministerium finanziert wurde. Und die Bundesregierung hat das Thema Afrika zu einem Schwerpunkt ihrer im Juli beginnenden sechsmonatigen EU-Ratspräsidentschaft erklärt. Die Akzentverschiebung Richtung Afrika war schon zuvor beim Arbeitsbeginn der Deutschen Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin sichtbar geworden: Ihre erste Auslandsreise hatte von der Leyen im Dezember 2019 auf den afrikanischen Kontinent geführt.

Die Migrations-Experten erhoffen sich, dass Deutschland mit gutem Beispiel voran geht und erste Pilotprojekte auf den Weg bringt. Das könnte auch andere Staaten zum Mitmachen motivierten. Deutschland werde schließlich als "ehrlicher Makler in der Flüchtlingspolitik" wahrgenommen, analysierte Bendel.

Keine unkontrollierte Zuwanderung

Für die öffentliche Debatte sei es wichtig zu betonen, dass es eben nicht um unkontrollierte Zuwanderung gehen soll, betonten die Experten. Dazu wurden Zahlen präsentiert. So habe der Anteil an Zuwanderern aus Afrika an der Gesamtbevölkerung in Deutschland im Jahr 2018 weniger als ein Prozent betragen. Zudem suche sich die Hälfte der Migranten in Afrika selbst eine neue Heimat. Andere wollen nach Amerika. In Europa seien vor allem die ehemaligen Kolonialmächte Frankreich oder Belgien Ziele von Migration aus Afrika. Insgesamt seien Prognosen eines baldigen ungebremsten Zuzugs nach Europa wissenschaftlich nicht haltbar, heißt es in der Studie. Der SVR warnt in dem Zusammenhang vor einer "alarmistischen Debatte".

Ziel der ersten Auslandsreise von EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen: ÄthiopienBild: DW/B. Riegert
Expertise in Sachen Zuwanderung: Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und MigrationBild: Michael Setzpfandt


Die Corona-Krise kommt allerdings auch dem Vorschlag der Experten in die Quere: Der Bedarf an Arbeitskräften in Europa werde wohl wegen der erwarteten Rezession abnehmen, erwartet Thym. Doch Migration aus Afrika werde mittel- und langfristig wieder ein Thema werden. Darauf vorbereitet zu sein, Modelle durchdacht und ausprobiert zu haben, sei wichtig. Denn wie Corona zeige sei es zentral, sich rechtzeitig auf Krisen vorzubereiten.

 

 

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