Er könnte ein ganz Großer seines Sports werden. Allerdings sagt man Alexander Zverev das schon eine ganze Weile nach. Bei den US Open 2020 bietet sich ihm im Finale die nächste gute Chance.
Anzeige
Zu den wirklich ätzenden Gefühlen, die ein Tennisspieler durchleben muss, gehört dieses: Man hat gut gespielt, sicher, aber der Gegner war besser und hat am Ende gewonnen. Knapp, aber doch verdient. Dennoch sind die eigenen Anhänger und Unterstützer voll des Lobes: "Tolle Partie. Irre Ballwechsel. Du kannst zufrieden sein." So Sachen hört man dann. Ätzend.
Zu leicht zu lesen, zu durchschaubar
Alexander Zverevs übellaunige Reaktionen auf solch verlorene Spiele sind Legende. Bei den US Open 2020 allerdings wird der Deutsche bislang überwiegend gut gelaunt auf der Anlage gesichtet. Er hat bislang nur gewonnen, steht im Finale und hat nun (an diesem Sonntag, 22 Uhr MESZ) beste Chancen, gegen seinen österreichischen "Buddy" Dominic Thiem eine Chance, seinen ersten Grand-Slam-Titel zu holen.
Bis hier hin war Zverev ein Mann, der - von seinem Sieg beim ATP-Finale in London 2018 abgesehen - in ihn gesetzte Hoffnungen bei den großen Turnieren regelmäßig nicht erfüllt hat. Wenn zum Beispiel der gegenwärtig verletzte Roger Federer Zverev unablässig als große Hoffnung im Welttennis bezeichnet, dann kann man das zumeist freundliche lächelnde Gesicht des Maestros aus der Schweiz ohne Zögern als Pokerface deuten. Federer kann sich über den Erfolg Zverevs freuen, da der Deutsche inzwischen zu den Schützlingen der Federer-Agentur "Team 8" zählt. Zugleich weiß aber gerade Federer, dass das Spiel des Deutschen für die Tennis-Profis an der Spitze zu leicht zu lesen, zu durchschaubar und am Ende auch zu fehleranfällig ist. Bislang.
Zweiter Aufschlag? Volle Pulle
In New York hat man zum Beispiel 41 Doppelfehler in Serie gezählt, weil der Deutsche dazu übergegangen ist, in Ermangelung eines verlässlichen zweiten Aufschlags das Ding teilweise mit über 200 km/H ins Feld des Gegners zu donnern. Fault? Egal. Und dann ist da noch die Sache mit der Mentalität. "Ich wollte das alles zu sehr. Ich habe es in den Grand Slams zu krampfhaft versucht", sagt der Blondschopf in New York selbst dazu. Kein Wunder, wenn man seit dem achten Lebensjahr zu hören bekommt, was man für ein wunderbarer Tennisspieler man einmal werden könnte. Zverev musste, wenn man so will, Abstand zu sich selbst nehmen.
In New York 2020, das man als Skeptiker als Grand-Slam-Muster ohne Wert bezeichnen könnte (kein Federer, kein Rafael Nadal, keine Zuschauer), hatte er gleich in der ersten Runde mit dem zähen Südafrikaner Kevin Anderson - immerhin ein Wimbledon-Sieger - eine der größeren Proben zu bestehen. Das enge Match entschied Zverev für sich. Und konnte sich danach leisten, mit eher mäßigem Tennis gegen eher mittelklassige Gegner bis ins Viertelfinale zu marschieren. Dort legte er beim 1:6, 7:6, 7:6, 6:3 gegen den Kroaten Borna Coric - auch so ein Langzeittalent - einen gruseligen ersten Satz hin und musste hinterher zu Protokoll geben: "Ich habe offensichtlich nicht gut gespielt." Und die beiden ersten, verlorenen Sätze im Halbfinale gegen den Spanier Pablo Carreno Busta, waren zum Vergessen.
Vorsicht vor höheren Wetteinsätzen
Nicht gut spielen und trotzdem gewinnen - das ist das Gegenteil jenes ätzenden Tennisspieler-Gefühls der Looser. So einer kann am Ende auch den Titel holen. Doch wer nun bereits mittelgroße Beträge auf den Deutschen setzen will, sollte an dieser Stelle vorsorglich gewarnt werden. Gegen Dominic Thiem dürfte sich ein mäßig spielender Zverev schwer tun.
Dieser Text wurde nach dem Halbfinale am Samstag, 12. September, aktualisiert.
.
Die größten Ausraster der Tennis-Geschichte
Topfavorit Novak Djokovic wird bei den US Open disqualifiziert, weil er wutentbrannt einen Ball wegschlägt und eine Linienrichterin trifft. Er ist nicht der Erste in der Tennis-Historie, der sich einen Ausraster leistet.
Bild: Getty Images/A. Bello
Endstation für den Djoker
Am Hals getroffen sinkt die Linienrichterin sofort zu Boden und hat Atemprobleme. Augenblicke zuvor hatte der Top-Favorit bei den US Open 2020 seinem Ärger freien Lauf gelassen: nach einem verlorenen Ballwechsel drosch er den Ball nach hinten weg, unabsichtlich traf er die Linienrichterin. Der Djoker entschuldigt sich, wird aber den Regeln entsprechend disqualifiziert.
Bild: picture-alliance/dpa/S. Wenig
Keine Hilfe von "ganz oben"
Auch das letzte Mittel bringt nichts: Serena Williams fleht Oberschiedsrichter und Supervisorin der US Open 2018 an, die Entscheidung des Stuhlschiedsrichters zu überstimmen. Sie stößt auf verständnisvolle Gesichter, letztlich aber auf taube Ohren. Nachdem Williams dem Schiedsrichter, den sie zuvor als Dieb bezeichnet hat, auch noch Sexismus vorwirft, gibt es eine Geldstrafe von 17.000 US-Dollar.
Bild: picture-alliance/dpa/MediaPunch
Wie sich die Bilder gleichen...
Auch im Halbfinale der US Open 2009 holt Williams Oberschiedsrichter und Supervisor auf den Platz, weil eine Linienrichterin kurz vor dem Matchball für Gegnerin Kim Clijsters auf Fußfehler entscheidet. Williams wütet und droht: "Wenn ich könnte, würde ich einen Ball nehmen und ihn dir tief in den Rachen stopfen!" Williams erhält eine Geldstrafe von 117.000 Euro und spielt zwei Jahre auf Bewährung.
Bild: picture-alliance/dpa/A. Gombert
Der König der Pöbler
John McEnroe bleibt unerreicht, wenn es ums Schimpfen und Ausfälligwerden geht. 1990 ist er der erste Spieler, der bei den Australian Open disqualifiziert wird. "F**k deine Mutter!", faucht er dem Schiri entgegen - danach ist das Match vorbei. Die Gesamtsumme von McEnroes Geldstrafen lässt sich kaum zusammenrechnen. 1987 wird er nach einem Eklat bei den US Open sogar mal für zwei Monate gesperrt.
Bild: picture-alliance/dpa/H. Ossinger
Jede Menge Bruchware
Nur 800 US-Dollar kostet Marcos Baghdatis sein Wutausbruch bei den Australian Open 2012. Der Zyprer zerstört bei einem Seitenwechsel gleich vier Schläger auf einmal, die zusammen wahrscheinlich teurer sind als seine Geldbuße. Zwei Rackets sind sogar noch unbenutzt und eingepackt. Serena Williams kommentiert das Ganze damals übrigens mit den Worten: "Vier Schläger, das ist beeindruckend. Wow!"
Bild: picture-alliance/dpa/B. Walton
Loch im Stuhl
Im Mai 2018 flippt Karolina Pliskova beim Turnier in Rom aus. Obwohl die Linienrichterin den Abdruck eines Aus gegebenen Balles nicht anzeigen kann, stützt die Schiedsrichterin ihre (Fehl)entscheidung. Pliskova verliert und verweigert der Schiedsrichterin den Handschlag. Stattdessen haut sie mit ihrem Schläger ein Loch in die Seite des Richterstuhls. Dafür kassiert sie eine vierstellige Geldbuße.
Bild: Getty Images/J. Finney
Ein Küsschen zum Trost
Peinlich, peinlich! Ausgerechnet beim Heimturnier in Wimbledon fällt "Gentleman" Tim Henman 1995 aus der Rolle. Ein wütend weggeschlagener Ball trifft ein Ballmädchen am Kopf. Henman wird disqualifiziert. Er ist der erste Spieler, dem das in Wimbledon passiert. Danach kriecht er öffentlich zu Kreuze, entschuldigt sich mit Blumenstrauß bei dem Mädchen - und ein Versöhnungsküsschen gibt es auch.
Bild: Getty Images/ALLSPORT/G. M. Prior
Ohrfeigen von der Ehefrau
Ebenfalls 1995 sorgt Jeff Tarango für einen Eklat in Wimbledon. Er legt sich mit Referee und Publikum an, packt dann seine Sachen und geht. Ehefrau Benedicte lauert dem Schiri in den Katakomben auf und verpasst ihm zwei Ohrfeigen. Die Strafe für ihren Mann: 63.000 US-Dollar und ein zweijähriger Bann von allen Grand-Slams, später reduziert auf 20.000 Dollar und ein Jahr Sperre in Wimbledon.
Bild: picture-alliance/AP Photo/J. Neilsen
Blut ist teurer als Wasser
Es ist keine Absicht, die Folgen sind dennoch blutig: Aus Frust tritt Daniel Nalbandian beim Turnier in Queens 2012 gegen die Holzumrandung des Linienrichter-Stuhls. Ein Splitter verletzt den Referee am Unterschenkel. Nalbandian wird disqualifiziert und zahlt 70.000 US-Dollar. Im gleichen Jahr besprenkelt er den Schiedsrichter bei den Australien Open mit Wasser, zahlt dafür aber nur 8.000 Dollar.
Bild: picture-alliance/Actionplus
Voll auf die Zwölf
Das geht ins Auge! Wütend drischt der 17-jährige Kanadier Denis Shapovalov im Februar 2017 einen Ball durch die Gegend und trifft den Schiedsrichter mitten im Gesicht. Das Auge schwillt sofort an, später muss der Referee sogar operiert werden. Die Augenhöhle ist gebrochen. Shapovalov wird disqualifiziert, Kanada scheidet aus dem Davis Cup aus. Außerdem gibt es eine Geldstrafe von 7.000 US-Dollar.
Bild: picture-alliance/empics/The Canadian Press/J. Tang
Arroganter Schnösel?
Ziemlich überheblich zeigt sich Alexander Zverev 2018 bei seinem Aus in Wimbledon. Zunächst beschimpft er den Linienrichter und kassiert eine Verwarnung. "Er will nur wichtig sein, einmal auf einem großen Platz in Wimbledon", pöbelt er anschließend. "Damit man sich einmal an sein Gesicht erinnert." Der Schiedsrichter, der Zverev bestraft, ist "Williams-Freund" Carlos Ramos.