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Politik

"Milieu nicht sich selbst überlassen"

18. April 2018

In ihrer bisher größten Razzia hat die Polizei ein deutsch-thailändisches Bordell-Netzwerk zerschlagen. Das ist gut, aber nicht genug im Kampf gegen Zwangsprostitution, erklärt Expertin Bettina Zietlow im DW-Interview.

Deutschland Bundesweite Razzia gegen Organisierte Kriminalität
Bild: picture-alliance/dpa/A. Vogel

Deutsche Welle: Bewerten Sie die heutige Großrazzia, wie Bundesinnenminister Horst Seehofer, als großen Erfolg im Kampf gegen Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung?

Bettina Zietlow: Aus dem, was ich auch aus meinen Untersuchungen weiß, war der Polizeieinsatz von der Größe her schon etwas Besonderes und mit den vielen Festnahmen sicherlich ein Erfolg. Es bleibt allerdings abzuwarten, inwieweit diesen Personen strafrechtlich Menschenhandel nachgewiesen werden kann. Denn dafür benötigt man gute Zeugenaussagen; die zu bekommen, ist im Bereich sexueller Ausbeutung ein großes Problem. Die Prostituierten nehmen sich entweder selbst gar nicht als Opfer wahr oder sie trauen sich nicht. Abgesehen davon ging die Razzia gegen einen sehr speziellen Bereich des Menschenhandels. Die meisten Opfer von Menschenhandel zwecks sexueller Ausbeutung kommen aus Osteuropa, nicht aus Thailand.

Ist die Aktion - nach viel Kritik an dem 2017 in Kraft getretetenProstituiertenschutzgesetz - endlich ein Erfolg dieses Gesetzes?

Ich denke nicht, dass sie eine direkte Folge des Prostituiertenschutzgesetzes war. Dennoch geht dieses ja durchaus in die Richtung von mehr Kontrollen. Während der Staat das Rotlichtmilieu zuvor weitgehend sich selbst überlassen hat, sieht die neue gesetzliche Regelung ein verstärktes Hingucken von Polizei, aber auch von Beratungsstellen und Ämtern vor. Prostituierte sind jetzt zum Beispiel verpflichtet, sich bei den Behörden anzumelden und an einer Gesundheitsberatung teilzunehmen. Prostituiertenverbände beklagen zwar ein angebliches Übermaß an Kontrollen und dadurch eine Stigmatisierung. Aber ich halte es für den richtigen Weg zu sagen: Wir erlauben Prostitution, aber die Branche muss sich an bestimmte Bedingungen halten. Prostituierte müssen unter menschenwürdigen Bedingungen arbeiten.

Bettina Zietlow hat drei Jahre lang Formen der Zwangsprostitution in Deutschland und Österreich erforschtBild: Detlef Jürges

Was sagen Sie zu den Bedenken, dass das Gesetz Prostituierte, die Angst vor Abschiebung oder dem Verlust ihrer Anonymität haben, noch stärker in die Illegalität drängt?

Der Einwand mag in Einzelfällen berechtigt sein, aber das kann kein Argument sein, um das Milieu sich selbst zu überlassen. Man sollte übrigens nicht den Fehler machen, illegale Prostitution mit Zwangsprostitution gleichzusetzen. Nur weil eine Prostituierte ordnungsgemäß angemeldet ist, heißt das nicht, dass sie kein Opfer von Menschenhandel sein kann. Außer bei Frauen aus Ländern wie Thailand oder Nigeria, die keine Aufenthaltserlaubnis haben, fahren Bordellbetreiber sogar besser damit, ihre Prostituierten anzumelden. Den Frauen zu viel Geld abknöpfen oder sie zu bestimmten Praktiken zwingen können sie ja immer noch. In einigen osteuropäischen Ländern sind die Lebensverhältnisse so prekär, dass sich genug Frauen finden, die erst einmal dazu bereit sind, das mit sich machen zu lassen. Umso mehr, weil oft eine enge Beziehung zwischen Opfern und Tätern besteht, etwa eine familiäre oder sogar eine Liebesbeziehung. 

Wie ist es zahlenmäßig um Zwangsprostitution in Deutschland bestellt?

Laut demBundeslagebild Menschenhandel vom Bundeskriminalamt werden jährlich etwa 500 Menschen, meist Frauen, Opfer von Zwangsprostitution - das heißt, das sind die gemeldeten Straftaten. Die Dunkelziffer wird von der Polizei zwei- bis dreimal so groß geschätzt, einige Beratungsstellen und internationale Behörden gehen von noch höheren Zahlen aus. Diese Zahlen sind über die Jahre relativ konstant geblieben. 

Heißt das, es gibt keine Fortschritte und der Staat geht nicht vehement genug gegen Zwangsprostitution vor?

Nicht unbedingt, denn wo mehr Ermittlungsarbeit stattfindet, findet man natürlich auch mehr. Wir können sehr genau sehen, wie die Zahlen mit polizeilichem Engagement zusammenhängen. Einige Bundesländer, die sehr aktiv sind, unter anderem Niedersachsen, generieren sehr viele Fälle. In anderen, wie etwa in Thüringen, wird nur ein Fall pro Jahr gemeldet. Es müsste insgesamt mehr Polizisten vor Ort geben und auch mehr Beratungsstellen, die eine Brücke heraus aus dem Milieu bauen können, wenn die Frauen es möchten. Auch die zuständigen Behörden müssen kompetente Mitarbeiter haben, die Verständnis dafür haben, wen sie da vor sich haben, und die mögliche Anzeichen von Menschenhandel erkennen. Wenn man Zwangsprostitution erfolgreich bekämpfen will und das Prostituiertenschutzgesetz seinen Zweck erfüllen soll, muss man eben auch die Ressourcen dafür schaffen.

Das Interview führte Ines Eisele.

Bettina Zietlow ist Diplompsychologin und arbeitet unter anderem als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen. Dort hat sie das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierte Forschungsprojekt "Prävention und Intervention bei Menschenhandel zum Zweck sexueller Ausbeutung" geleitet.

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