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Politik

Zwei Gentlemen und ihr Agreement

Jens Jensen mit Agenturen
11. November 2019

Nigel Farage will mit seiner Partei nicht in Wahlkreisen antreten, die als Tory-Hochburg gelten. Die britische Opposition vermutet dahinter den langen Arm der USA. Doch der Brexit-Hardliner begründet es ganz anders.

Großbritannien Wahlkampf | Nigel Farage, Brexit Party
Will den "echten Brexit": Nigel FarageBild: picture-alliance/AP Photo/F. Augstein

Wenn Kampfhähne aufeinander losgehen, gibt es hässliche Bilder. Damit der Parteienstreit in Großbritannien nicht nur unblutig verläuft, sondern auch zum gewünschten - pardon: von ihm gewünschten - Ergebnis führt, hat der Chef der Brexit-Partei, Nigel Farage, seinem Kontrahenten Boris Johnson eine Schutzzone eingerichtet.

Denn der Parteivorsitzende der Konservativen und Noch-Regierungschef will auch der künftige Premierminister sein. Er wünscht nach der Neuwahl im Dezember wieder in 10 Downing Street einzuziehen und, wie schon jetzt, sein Domizil mit dem Chief Mouser to the Cabinet Office, Kater Larry, zu teilen. Und wieder sollen seine Tories die abgewetzten grünen Bänke im Unterhaus besetzen - mit einem Unterschied: Sie mögen bitte viel mehr Plätze einnehmen als heute.

Zähneknirschend, quicklebendig

Allerdings ist die satte Mehrheit, die Johnson braucht, um den von ihm hochheilig versprochenen Brexit durchs Parlament zu bringen, recht schwer zu erzielen. Wohl bescheinigen Umfragen den Konservativen derzeit einen ordentlichen Vorsprung, doch wegen des britischen Mehrheitswahlrechts sind die Prozentzahlen trügerisch.

Soll möglichst wenig Federn lassen: Boris Johnson (hier in einer Grundschule in Beaconsfield)Bild: picture-alliance/Photoshot

Der von Johnson angepeilte Sieg der Konservativen wäre zusätzlich gefährdet, wenn sich der Mann, der nach eigenen Worten "lieber tot im Graben liegen" wollte, als den EU-Austritt des Königreichs zu verschieben, in Tory-Hochburgen mit Farage zanken müsste. Zwar ist Johnson auch nach der zähneknirschend akzeptierten Fristverlängerung quicklebendig. Aber ohne einen satten Wahlgewinn wäre er im Unterhaus völlig machtlos.

Und weil Nigel Farage, wie er nicht müde wird zu betonen, einen "echten Brexit" so sehr ersehnt, dass seine neue Partei ihn gleich im Namen führt, lässt er Johnson einfach in jenen 317 Wahlkreisen den Vortritt, die bei der vergangenen Abstimmung an die Konservativen gingen: Die Brexit-Partei tritt dort gar nicht erst an.

Von Johnson abgeschaut?

Ursprünglich wollte der frühere Börsenhändler und Ex-Konservative keinesfalls einen Pakt mit dem einstigen Journalisten und jetzigen Regierungschef schließen - solange die Tories sich nicht zu einem harten Brexit, also einem EU-Austritt ohne Abkommen, bekennen. Beinahe so, als hätte er sich das von Johnson abgeschaut, wechselt Farage nun seine öffentlich verkündete Meinung. Angeblich wurde der Sinneswandel durch eine Äußerung des Premiers ausgelöst.

Dieser habe sich dazu bekannt, die künftigen Beziehungen mit der EU im Rahmen eines Freihandelsabkommens nach dem Vorbild Kanadas zu gestalten, sagte Farage vor Gefolgsleuten in der englischen Hafenstadt Hartlepool. Bisher sei dagegen stets von einer engen Partnerschaft die Rede gewesen. "Das hat für mich einen großen Unterschied gemacht."

"Trump hat seinen Willen bekommen": Jeremy CorbynBild: picture-alliance/empics/N. Roddis

Die Opposition vermutet indes ganz andere Motive. Labour-Chef Jeremy Corbyn erklärte, Farage handele auf Geheiß von US-Präsident Donald Trump. Dieser habe einen Pakt mit Johnson verlangt. "Heute hat Trump seinen Willen bekommen." Der Staatschef hatte Anfang des Monats "Nigel und Boris" öffentlich aufgefordert, sich zu verbünden.

Wechselwähler aus den West Midlands

Wie sehr das Gentlemen's Agreement tatsächlich den Wahlausgang beeinflusst, ist freilich umstritten. Während Politikwissenschaftlerin Sara Hobolt von der London School of Economics glaubt, ein Tory-Sieg werde dadurch "sehr viel wahrscheinlicher", verweisen andere Beobachter darauf, der Premier sei für einen klaren Sieg auf Wechselwähler angewiesen: Er benötige die Stimmen von Brexit-Befürwortern in traditionellen Labour-Hochburgen wie dem Nordosten Englands oder den West Midlands um Birmingham. Die könnten, von Labour enttäuscht, allerdings eher zur Brexit-Partei von Farage als zu den verhassten Tories überlaufen.

Noch weiß niemand, wohin die Reise gehtBild: picture-alliance/dpa/F. Diemer

Etliche Wähler - des monatelangen Gezerres und der Lähmung des Parlaments mehr als überdrüssig - dürften sich bei der Abstimmung am 12. Dezember ohnehin zwischen Szylla und Charybdis fühlen, jenen Meeresungeheuern der griechischen Mythologie, die (auf je eigene, delikate Weise) Schiffen, die in ihre Nähe kamen, den Garaus machten. Bei wem sie am Ende ihr Kreuz machen, allein, weil sie ihn für den weniger schädlichen Kandidaten halten, ist kaum berechenbar.

Farage, so wissen wir spätestens ab diesem Novembertag, hält es im Zweifel mit Johnson, wobei sich der Brexit-Hardliner mit Wirtschaftsvertretern jenseits des Kanals überraschend einig ist. Auch für die deutschen Unternehmen - so sagt es jedenfalls Ulrich Hoppe, Geschäftsführer der deutsch-britischen Handelskammer in London - sei Boris Johnson im Vergleich zu Labour "das kleinere Übel". Begründung: Die Sozialdemokraten auf der Insel wollten die gesamte britische Wirtschaft umkrempeln. Boris Johnson würde das niemals tun. Er krempelt lieber Europa um.

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