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Zwei Jahre Taliban-Herrschaft: Schlimmer als befürchtet

15. August 2023

Vor dem Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan 2021 warnten Experten und Aktivisten der afghanischen Zivilgesellschaft eindringlich vor den Taliban. Nun fühlen sie sich im Stich gelassen.

Afghanistan Taliban Frauen Burka Essensverteilung
Ein Taliban-Krieger überwacht Frauen, die in einer Schlange auf die Verteilung von Essensrationen durch eine humanitäre Hilfsgruppe warten.Bild: Ebrahim Noroozi/AP Photo/picture alliance

"Um ehrlich zu sein, ich habe das Gefühl, in einem Albtraum zu leben. Es fällt schwer zu begreifen, was wir in den letzten zwei Jahren erlebt haben", sagt die 29-jährige Maryam Marof Arwin in einem Telefonat mit der DW aus Afghanistan. Sie hat eine Wohlfahrtsorganisation für Frauen und Kinder ins Leben gerufen und lebt in der Hauptstadt Kabul. Diese wurde vor zwei Jahren - am 15. August 2021 - von den islamistischen Taliban erobert.

Mit dem Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan gelang es den Taliban in einen blitzartigen Vormarsch, innerhalb weniger Wochen das gesamte Land zu erobern. Trotz anfänglicher Versprechen, Frauenrechte im Rahmen der Scharia zu respektieren, haben die Taliban in den letzten zwei Jahren eine Reihe von Verboten erlassen, die die Rechte von Frauen und Mädchen drastisch einschränken. Sie werden aus dem öffentlichen Leben verdrängt, von Bildungseinrichtungen und dem Arbeitsmarkt ausgeschlossen und in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt.

Letzte Warnung vor dem Untergang der Zivilgesellschaft

"Ich begreife nicht, woher die Hoffnung kam, dass die Taliban sich geändert oder gar verbessert haben", sagt die Kabuler Frauenaktivistin Arwin in Kabul und fügt hinzu: "Wir wussten immer, dass wir mit den Taliban an der Macht alles, was wir erreicht hatten, wieder verlieren würden. Zwanzig Tage vor ihrer Machtübernahme haben wir, Frauenaktivistinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft in Kabul, eine Pressekonferenz organisiert, um erneut die Weltgemeinschaft auf unsere Lage aufmerksam zu machen. Wir haben gesagt: Schaut auf die Gebiete, die damals bereits von den Taliban kontrolliert wurden, und seht, wie sie Frauenrechte verachten. Doch niemand wollte auf uns hören."

Schon vor ihrer Rückkehr an die Macht in Kabul war es den Taliban gelungen, Stück für Stück immer größere Teile der ländlichen Gebiete in Afghanistan unter ihre Kontrolle zu bringen. Wo sie die Macht und das Sagen hatten, mussten Frauen im Haus bleiben und dem traditionellen Rollenbild als Tochter, Ehefrau oder Mutter folgen, genau wie in der ersten Herrschaft von 1996 bis 2001. Damals war es Frauen in Afghanistan weder gestattet zu studieren noch zu arbeiten. Das Haus durften Frauen nur in Begleitung männlicher Angehöriger verlassen. War eine Frau allein unterwegs, drohten ihr Peitschenhiebe.

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Die Taliban von 2021 hätten sich kaum von den Taliban der 1990er Jahre unterschieden, berichtet die ehemalige afghanische Vize-Friedensministerin Dr. Alema Alema im Gespräch mit der DW. Das Friedensministerium war für innerafghanische Friedensverhandlungen zuständig und wurde nach der Machtübernahme der Taliban aufgelöst.

Die Taliban waren lediglich vorsichtiger als in ihrer ersten Herrschaft in den 90ern - und erfahrener. "Seit sie wieder an der Macht sind, haben sie 51 Verbote für Frauen erlassen, also mehr als ein Verbot pro Monat", erklärt Alema Alema und fügt hinzu: "Sie haben nicht alles auf einmal verkündet, da sie die Weltgemeinschaft nicht verschrecken wollten. Auch in Afghanistan mussten sie anfangs vorsichtig agieren, um die Gesellschaft nicht gegen sich aufzubringen. Ihre Macht war noch nicht gefestigt."

US-Regierung machte Taliban "hoffähig"

Die USA hatten 2018 direkte Gespräche mit den Taliban aufgenommen. Wären die afghanische Regierung und lokale Experten mit einbezogen worden, wäre die Geschichte anders verlaufen, glaubt die 59-jährige Alema, die mittlerweile in Deutschland lebt. Die USA und ihre Partner wollten mit den Gesprächen, die sie in der katarischen Hauptstadt Doha mit den Taliban führten, den Weg zu einem Ausstieg aus dem Konflikt in Afghanistan ebnen. Denn auch nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die internationale Koalition im Jahr 2001 hatten die Taliban weiter heftigen bewaffneten Widerstand gegen die afghanische Regierung und ausländische Truppen geleistet. Zahlreiche Militär- und Zivilpersonen kamen in diesem anhaltenden Konflikt ums Leben.

Doha: Zalmay Khalilzad (2.v.l), US-Sondergesandter für Aussöhnung in Afghanistan, und Mullah Abdul Ghani Baradar (2.v.r), Leiter des politischen Büros der Taliban, unterzeichneten am 29.2.2020 ein Abkommen, das Frieden für Afghanistan bringen sollte.Bild: Hussein Sayed/AP/dp/picture alliance

Die Gespräche mit den Taliban führten am 29. Februar 2020 zu einer Vereinbarung, in der ein Zeitplan für den Abzug der US-Truppen sowie der anderen NATO-Kontingente festgelegt wurde. "Die Vereinbarung vom Februar 2020 rief unter anderen zu innerafghanischen Friedensgesprächen auf, bei denen die Taliban direkt mit der afghanischen Regierung verhandeln sollten", erklärt die afghanische Ex-Politikerin Alema. "Wir hatten uns darauf vorbereitet. Im Friedensministerium hatte ich verschiedene Arbeitsgruppen eingerichtet und mit Vertretern von NGOs aus allen 34 Provinzen des Landes Leitlinien und Fördermaßnahmen erarbeitet. Die Taliban jedoch zeigten kein Interesse an Gesprächen mit uns. Sie wussten, dass die USA Afghanistan verlassen würden. Sie waren nicht bereit, Zugeständnisse zu machen. Und die USA hatten sie hoffähig gemacht, nach dem Motto: Die Taliban haben sich verändert."

Ein Abkommen, das das Land demoralisierte

Die direkten Verhandlungen mit den USA verschafften den Taliban Anerkennung. In ihrem Büro in Doha unterzeichneten sie jenes Abkommen mit den USA, welches den Frieden nach Afghanistan bringen sollte. Dieses Abkommen schwächte die Moral der afghanischen Armee und minderte ihren Widerstand gegen den späteren Vormarsch der Taliban erheblich. "Das, was sich im August 2021 in Afghanistan ereignete, war kein militärischer Triumph der Taliban, sondern das Ergebnis einer politischen Entscheidung", analysiert Khushal Asefi, Journalist und ehemaliger Geschäftsführer der Ariana Radio & Television. Asefi berichtete damals täglich von den sich überschlagenden Ereignissen. "Niemand hatte Einblick in die Hintergrundverhandlungen mit den Taliban. Es schien, als hätten die westlichen Länder ihre Unterstützung für die damalige Regierung zurückgezogen."

Nach der Machtübernahme der Taliban musste Asefi das Land verlassen. Als kritischer Journalist sah er keine Zukunft mehr für sich in Afghanistan und hatte Angst um sein Leben. "Die Entwicklungen der letzten zwei Jahre verstärken das Gefühl, dass das Land den Taliban überlassen wurde. Es scheint egal zu sein, welches Chaos sie anrichten. Bestenfalls wird eine kritische Erklärung veröffentlicht, in der die Politik der Taliban verurteilt wird. Die afghanische Gesellschaft ist demoralisiert und erschöpft. Die Wirtschaft liegt am Boden und über 20 Millionen Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze. Die Menschen kämpfen nur noch um ihr nacktes Überleben."

"Ja, viele denken nur daran, wie sie das Land verlassen können", bestätigt Frauenaktivistin Arwin aus Kabul. Sie betont weiter: "Ich bin enttäuscht, dass die Weltgemeinschaft und die afghanische Gesellschaft so schnell kapituliert haben. Es ist schlimmer als ich fürchtete. Die afghanische Zivilgesellschaft hat aber einen starken Kern, der nicht aufgeben wird. Diesen Kern sollte man nicht unterschätzen. Ich glaube ganz fest an uns."

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