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Gesellschaft

Zwei Mütter, ein Vater und ein gemeinsames Kind

Victor Weitz mo
18. Juni 2020

Lera, Katja und Mischa sind homosexuell und stammen aus Russland. In Deutschland fanden sie ihr Glück. Gemeinsam ziehen sie alle drei heute eine Tochter groß. Von Victor Weitz, Düsseldorf.

Lera und Katja mit ihrer Tochter Julia
Lera und Katja mit ihrer Tochter JuliaBild: DW/V. Weitz

Sie alle stammen ursprünglich aus Russland und haben sich in Deutschland kennengelernt: Lera, Katja und Mischa. Lera kam als 17-Jährige mit ihren Eltern nach Düsseldorf, wo sie später die Studentin Katja traf. Sie verliebten sich auf den ersten Blick, wie sie sagen. Seit 13 Jahren leben sie zusammen, elf davon sind sie miteinander verheiratet. Für ein vollkommenes Familienglück fehlte ihnen nur ein Kind.

Mischa zog vor zehn Jahren zu seinem Freund Mark nach Deutschland. Auch die beiden Männer wünschten sich ein Kind und hofften auf ein Gesetz, das gleichgeschlechtlichen Paaren in Deutschland eine Adoption ermöglichen würde. Doch nach einigen Jahren trennten sie sich. Mark erhielt ein verlockendes Stellenangebot und ging in die USA, und Mischa wollte in Düsseldorf bleiben.

Dort lernten Lera und Katja erst über soziale Netzwerke Mischa kennen, in dessen Blog das lesbische Paar oft Kommentare hinterließ. Schließlich nahmen sich alle drei vor, sich endlich im realen Leben zu treffen. Sie verstanden sich auf Anhieb gut. "Wir sind auf derselben Wellenlänge. Wir haben viele gemeinsame Interessen, eine ähnliche Weltanschauung, mögen dieselben Bücher und Filme. Aber über das Intimste - den Kinderwunsch - haben wir erst zwei Jahre nach unserer ersten Begegnung gesprochen", erinnert sich Mischa.

Mischa mit seiner Tochter im ZooBild: privat

Wie sich herausstellte, hatten die drei Düsseldorfer denselben Traum: Eltern zu werden. "Warum sollt Ihr nach einem Samenspender suchen, wenn Ihr mich habt? Euer künftiges Kind kann doch zwei Mütter und auch einen echten Vater haben", schlug Mischa dem lesbischen Paar damals vorsichtig vor. Alle drei nahmen sich Zeit zum Nachdenken.

Vater verzichtet zugunsten der Mütter

Die materielle Lage von Lera, Katja und Mischa erlaubt es ihnen, ein Kind großzuziehen. Mischa ist ausgebildeter Winzer. Zu jener Zeit arbeitete er als Koch in einem Kölner Restaurant. Lera und Katja haben sich ebenfalls beruflich verwirklicht. Lera ist als Ingenieurin für ein renommiertes Unternehmen tätig und Katja arbeitet für eine Versicherungsgesellschaft. Gemeinsam besitzen die Frauen ein eigenes Haus.

Katja ist die biologische Mutter von Julia. Es sei keine leichte Entscheidung gewesen, Mutter zu werden, erinnert sich Katja: "Ich habe dafür ein Jahr gebraucht. Dann haben wir uns mit verschiedenen Spezialisten beraten, mit Gynäkologen und Anwälten gesprochen. Die künstliche Befruchtung gelang beim dritten Versuch. Wir alle drei waren sehr glücklich." Und Mischa schwärmt noch heute: "Neun Monate später geschah das Wunder. Ich eilte vom Glück beflügelt ins Krankenhaus. Es waren unbeschreibliche Gefühle, als ich meine eigene Tochter Julia in den Armen hielt."

Beim "Familienrat" wurde beschlossen, den Namen des Vaters in die Geburtsurkunde eintragen zu lassen. Doch finanzielle Verpflichtungen erwarteten die Frauen von Mischa nicht. "Erstens vertrauen wir einander und zweitens waren wir uns einig, dass Mischa seine Tochter jederzeit sehen, mit ihr Zeit verbringen und sich an ihrer Erziehung beteiligen kann", betont Lera. Wunsch der Frauen war aber, dass Mischa auf das Elternrecht verzichtet, damit Lera, Katjas Frau, das Kind adoptieren kann. Und so geschah es auch.

Hauptsache eine glückliche Kindheit

Das Wichtigste für alle drei Elternteile ist das Wohl des Kindes. Heute ist Julia fünf Jahre alt. Sie lebt mit zwei Müttern und sieht ihren Vater oft, ob bei ihm zu Hause oder wenn Papa zu Besuch kommt. "Unser Verhältnis ist sehr harmonisch. Julias Mütter können in Ruhe ins Theater oder zu einem Konzert gehen, und ich bin dann bei meiner Tochter. Wir gehen alle zusammen in den Zoo und auf Kinderspielplätze. Sie wächst als glückliches Kind auf und liebt uns alle drei gleich", sagt Mischa.

Mischa hat engen Kontakt zu seiner TochterBild: privat

Den Müttern zufolge ist Julia ein sehr entwickeltes und intelligentes Kind. Sie spricht sogar zwei Sprachen: Russisch und Deutsch. Das Mädchen ist umgeben von Liebe und Fürsorge - nicht nur der Eltern, sondern auch Großeltern. "Meine Mutter weinte vor Freude, als sie hörte, dass ich Vater werde. Denn nach meinem Coming-out war meine Mutter am meisten traurig darüber, dass sie vielleicht nie Großmutter werden würde. Jetzt ist sie glücklich. Sie passte mit Vergnügen auf ihre Enkelin auf, als sie bei uns zu Besuch war", erzählt Mischa. Auch zu den Eltern beider Mütter hat er engen Kontakt. "Ich habe jetzt eine große Familie und bin sehr glücklich", betont Mischa.

Antworten zu gegebener Zeit

Im Kindergarten und unter den Nachbarn wundert sich niemand darüber, dass Julia zwei Mütter und einen Vater hat. Die Kleine selbst sei es gewesen, die während eines Spaziergangs überraschend danach gefragt habe, warum sie zwei Mamas habe, sagen die Mütter.

Lera habe darauf gesagt: "Mama und ich haben von einer so wundervollen Tochter geträumt, und dann bist Du zu uns gekommen." Nach einer Pause habe Julia dann nachgehakt, warum sie denn so viele Mütter und so wenige Väter habe. Die Mütter rieten ihrer Tochter, ihren Vater beim nächsten Treffen danach zu fragen. Nun rätselt Mischa, was er seiner Tochter antworten soll. Im Allgemeinen, so Mischa, nehme Julia alles als gegeben wahr. Für sie sei es viel wichtiger, geliebt und umsorgt zu werden. Und Antworten auf wichtige Fragen werde sie bekommen, wenn sie groß genug sei.

Mischa hat sich vorgenommen, in Deutschland einen neuen Beruf zu erlernen. Er will Industriedesigner werden. Beim Bewerbungsgespräch wurde er nach seinem Familienstand gefragt. Er sagte sofort, dass er ledig sei und eine Tochter habe, die von zwei Müttern großgezogen werde. "Ich war selbst ein wenig verlegen, aber alle anderen waren gar nicht überrascht und mir gegenüber sehr wohlwollend", lächelt er.

Mischa sagt, er denke oft darüber nach, wie paradox es doch sei, dass er, um Familienglück zu finden, nach Deutschland gehen musste. In seiner früheren Heimat wäre dies unmöglich gewesen. "Wir alle drei Elternteile freuen uns, dass unsere Tochter in einem Land lebt, in dem die Rechte jedes Menschen gleichermaßen vom Gesetz geschützt sind", betont er.

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