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Gesellschaft

Zwei Weihnachtstage in Bethlehem

Alexander Fritsch Bethlehem
26. Dezember 2017

Zu Weihnachten steht Bethlehem normalerweise ganz im Zeichen der Geburt Jesu Christi. Doch in diesem Jahr überschattet die Politik die weihnachtliche Besinnlichkeit.

Bethlehem Christmesse in der Geburtskirche - Pierbattista Pizzaballa
Bild: Reuters/M. Qawasma

Es regnet. Oder besser: Es schüttet, wie aus Kübeln. Die hügeligen Steinstraßen hier im Westjordanland sind nicht für solche Wassermassen gemacht. Wo sonst allenfalls ab und an kümmerliche Rinnsale fließen, machen jetzt regelrechte Sturzbäche den Fußgängern und Autofahrern das Leben schwer. Aber auch das hält niemanden davon ab, zum Manger Square zu pilgern.

Merry Christmas - der englische Weihnachtsgruß beherrscht Bethlehems zentralen Platz neben der Geburtskirche. Die Händler werfen ihn jedem Passanten hinterher. Sami hat einen winzigen Teeladen. Er ist hier eine kleine Berühmtheit, seit der US-amerikanische TV-Moderator Conan O’Brien in einer Reportage von seinem "Chai" schwärmte. Das Foto von den Dreharbeiten hängt gut sichtbar über dem Wasserkessel. Merry Christmas, sagt auch Sami, und er lächelt: "Das ist für uns alle jedes Jahr etwas ganz Besonderes, wenn die 30.000 Einwohner von Bethlehem Besuch bekommen von 100.000 Ausländern."

Schon ab 21.00 Uhr sind Geburts- und Katharinenkirche weiträumig abgesperrt. Palästinensische Soldaten patrouillieren schwer bewaffnet. Durchgelassen wird nur noch, wer sich beim Erzbistum in Jerusalem oder beim Tourismusbüro in Bethlehem rechtzeitig ein Ticket für die Mitternachtsmesse besorgt hat. TV-Übertragungswagen parken überall in den Seitenstraßen. 

Nach und nach füllte sich der Manger Square vor der Geburtskirche in BethlehemBild: Getty Images/AFP/M. Al Shaer

Politik um Mitternacht 

Die Katharinenkirche, direkt neben der Geburtskirche erbaut, hat 800 Sitzplätze. Für die Mitternachtsmesse wurden 1.500 Karten ausgegeben. Auf den Holzbänken drängen sich die Menschen, in den Gängen und am Rand stehen sie so dicht beieinander, dass man die Füße vom Boden nehmen könnte und trotzdem nicht umfallen würde. Überall dazwischen: unzählige Fernsehkameras.

Pierbattista Pizzaballa (oben im Bild) wurde 2016 zum Erzbischof ernannt. Es ist erst die zweite Mitternachtsmesse in Bethlehem, bei der er selbst die Predigt hält. Er wolle nicht über Politik reden, beginnt er - dann redet er über Politik. Zu Jerusalem habe Papst Franziskus eigentlich schon das Nötige gesagt, meint Pizzaballa. Er wolle trotzdem noch etwas anfügen: "Jerusalem ist die Stadt des Friedens. Es gibt keinen Frieden, wenn jemand ausgeschlossen wird."

Ganz vorne, in der ersten Reihe direkt am Altar, sitzt Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Der Muslim nickt und lächelt. Pizzaballa fährt fort und bleibt bei der Politik. Er blickt Abbas direkt an, als er sagt: "Für Frieden müssen wir auch miteinander reden." Jetzt ist das Lächeln aus Abbas‘ Gesicht verschwunden, er nickt nicht mehr. Nach der Predigt brandet Applaus auf im Gotteshaus. Der Erzbischof geht auf den Präsidenten zu und umarmt ihn. Abbas grüßt kurz und verlässt dann zügig die Kirche. Der Rest der Messe findet ohne ihn statt.

Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas nimmt jedes Jahr an der Messe in Bethlehem teilBild: Reuters/M. Qawasma

Debatten am Montagmorgen 

Der Regen hat aufgehört, dafür ist es beinahe europäisch kalt. Die Pilger und Touristen sind dick angezogen - jedenfalls die, die sich zumindest vage an den Schnee in der Weihnachtsgeschichte erinnert und deshalb nicht nur Sonnenbrille und Sandalen eingepackt hatten.

Auf dem Manger Square singen Choräle Weihnachtslieder. Während im Hintergrund "Stille Nacht" in arabischer Sprache erklingt, diskutieren alle mit allen: Pilger, Touristen, Polizisten, Soldaten, Straßenhändler. Immer geht es um Jerusalem, oft auch um Pizzaballa und Abbas.

Sami, der Teemann, ist eigentlich bekannt für seine Sanftmut und seine unerschütterlich gute Laune, doch heute wirkt er traurig. Die Mitternachtsmesse an Heiligabend, erzählt er, sei für ihn - wie für alle palästinensischen Christen - immer der spirituelle Höhepunkt des Weihnachtsfestes gewesen. Diesmal nicht. Diesmal habe der Erzbischof eine politische Rede gehalten. Die eigentliche, die religiöse Predigt sei diesmal erst die Frühmesse am Montag gewesen, am ersten Weihnachtstag. Da konnte Sami nicht hin, weil er seinen Laden aufmachen musste. Er hörte im Radio zu.

"Der Grinch"
Jetzt ist es später Abend und schon lange wieder dunkel, aber Sami ist immer noch sichtbar bedrückt. "Jerusalem überschattet diesmal alles", sagt er, "sogar die Heilige Messe in der Heiligen Nacht." Er überlegt kurz - dann wählt er ein Gleichnis, von dem er wohl hofft, dass man es auch in Europa und vor allem in den USA versteht: "Donald Trump ist wie der Grinch", sagt er. "Er hat uns das Weihnachtsfest gestohlen."

Kunden warten. Sami verabschiedet sich - Merry Christmas.
 

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