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Zweierlei Maß: Spanien kritisiert EU für Umgang mit Israel

Ella Joyner
27. Juni 2025

Ein EU-Bericht findet "Hinweise", dass Israel in Gaza die Menschenrechte verletzt. Die EU könnte daraufhin ein wichtiges Assoziierungsabkommen mit Israel aussetzen, doch unter den Mitgliedsstaaten fehlt die Einigkeit.

Blick über sehr viele Behelfsunterkünfte in Gaza-Stadt. Häuser sind nur noch im Bildhintergrund zu sehen
Nach 18 Monaten unter Beschuss ist der Gazastreifen fast vollständig zerstört, viele der Bewohner müssen in Zelten lebenBild: Mahmoud Issa/Anadolu/picture alliance

Der spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez vergleicht die katastrophale Lage in Gaza mit einem Völkermord und wirft seinen europäischen Kollegen Untätigkeit vor. Hintergrund ist ein Bericht des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD), der diese Woche an alle EU-Mitgliedsstaaten verteilt wurde. Er stützt sich auf die Erkenntnisse und Vorwürfe wichtiger internationaler Institutionen. Demnach gibt es "Hinweise" darauf, dass Israel die Menschenrechte verletzt. Obwohl die EU-Staaten infolge dessen ein wichtiges Assoziierungsabkommen mit Israel auszusetzen könnten, würden sie diese Möglichkeit nicht ergreifen, kritisiert Sanchez.

Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Behörden in Gaza wurden über 55.000 Palästinenser und Palästinenserinnen getötet, seit Israel vor mehr als 18 Monaten begann, den Gazastreifen zu bombardieren. Vorwürfe eines Völkermords weist Israel jedoch vehement von sich und betont, es befinde sich seit dem Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 im Krieg mit der militant-islamistischen Hamas.

Der spanische Ministerpräsident kritisiert Israel schon seit längerem offenBild: Yves Herman/REUTERS

Der EU-Bericht wurde nicht öffentlich gemacht, konnte jedoch von der DW eingesehen werden. Als potenzielle Verstöße werden mögliche willkürliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung, die Blockade von Lebensmittel- und Arzneimittellieferungen durch Israel und Angriffe auf medizinische Einrichtungen genannt. "Es gibt Hinweise darauf, dass Israel seine Menschenrechtsverpflichtungen verletzt", heißt es in dem Bericht.

Es "ist mehr als offensichtlich, dass Israel Artikel 2 des Abkommens [Achtung der Menschenrechte, d. Red.] zwischen der EU und Israel verletzt", sagte Sanchez auf dem EU-Gipfel. "Gegen Russland haben wir 18 Sanktionspakete wegen seiner Aggressionen [gegen die Ukraine, d. Red.] geschnürt, aber wegen seiner Doppelstandards ist Europa nicht in der Lage, ein Assoziierungsabkommen auszusetzen."

Eine Aussetzung wird es nicht geben

Unter den 27 EU-Mitgliedsstaaten stehen Spanien und Irland allein mit ihrer Forderung, das Abkommen vollständig auszusetzen. Ein solches Vorgehen setzt Einstimmigkeit voraus und stand daher nie ernsthaft zur Debatte. Griechenland, Deutschland, Ungarn, Österreich und Bulgarien bleiben enge Verbündete Israels. Insbesondere Berlin hat seinen Standpunkt deutlich gemacht. Mit der deutschen Regierung sei so etwas nicht zu machen, meinte Kanzler Friedrich Merz.

Das Abkommen trat im Jahr 2000 in Kraft und fördert den politischen Dialog und die Zusammenarbeit in den Bereichen Technik und Forschung. Vor allem aber deckt es die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Partnern ab, die allein bei Waren einen Wert von mehr als 40 Milliarden Euro erreichen. Eine Aussetzung bekäme insbesondere Israel zu spüren, es importiert ein Drittel seiner Waren aus der EU.

Es bestünde noch die Möglichkeit, das Abkommen teilweise auszusetzen, zum Beispiel in Bezug auf den freien Handel oder den Ausschluss Israels aus dem Forschungsförderungsprogramm Horizont Europa. Hierfür wäre eine qualifizierte Mehrheit von 15 der 27 Mitgliedsstaaten erforderlich. Mehrere diplomatische Quellen teilten der DW jedoch mit, dass auch hierfür keine ausreichenden Mehrheiten vorhanden seien.

Keine "Bestrafung" Israels

Anfang der Woche hatte die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas den Gaza-Bericht offiziell für eine erste Debatte unter den Mitgliedsstaaten vorgelegt. Dabei hatte sie klargestellt, dass es keine unmittelbaren Maßnahmen geben würde. "Wir sind nicht daran interessiert, Israel zu bestrafen, sondern konkrete Verbesserungen für die Menschen und das Leben der Menschen in Gaza zu veranlassen", sagte sie. "Verbessert sich die Lage nicht, können wir über weitere Maßnahmen diskutieren und dies im Juli wieder aufgreifen."

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bezeichnete den EU-Bericht als UngeheuerlichkeitBild: Marc Israel Sellem/POOL/AFP

Am Donnerstag nahmen die EU-Staats- und Regierungschefs den Bericht in ihrer gemeinsamen Erklärung lediglich "zur Kenntnis", ohne auf mögliche Menschenrechtsverletzungen einzugehen. Das  Thema solle im kommenden Monat erneut aufgegriffen werden. Die Gipfelteilnehmer beklagten jedoch die "katastrophale humanitäre Lage in Gaza, die inakzeptable Anzahl ziviler Opfer und das Ausmaß des Hungers".

Tief gespalten

Spanien fordert nun ein EU-Embargo für den Verkauf von Waffen an Israel sowie weitere Sanktionen. Einer der wichtigsten Waffenlieferanten für Israel ist Deutschland. Berlin bestätigte erst kürzlich, dass es den jüdischen Staat weiter bewaffnen wolle. Ein Embargo ohne Deutschland hätte also nur geringe Auswirkungen. 

Länder wie Belgien, Frankreich und Schweden unterstützen weitere EU-Sanktionen gegen Israel, aber auch hier ist die Zustimmung aller erforderlich. Der irische Premierminister Micheal Martin meinte, die Menschen in Europa könnten es "nicht verstehen, dass Europa offenbar nicht in der Lage ist, auf Israel Druck auszuüben".

Um maximalen Druck auszuüben, wären ein Waffenembargo, umfangreiche Sanktionen gegen Regierungsmitglieder oder eine vollständige Aussetzung des Assoziierungsabkommens erforderlich, stellt Lisa Musiol vom Think-Tank Crisis Group fest. "Fast keiner der europäischen Staats- und Regierungschefs spricht jedoch von solchen Maßnahmen", schreibt sie der DW. "Kein anderes außenpolitisches Thema spaltet die Mitgliedsstaaten vermutlich so sehr wie dieses."

Konflikt mit dem Iran lässt Kritik verstummen

Vor wenigen Wochen schien es für kurze Zeit, als würde sich die Haltung der EU kollektiv verhärten. Die Niederländer schlugen vor, das Assoziierungsabkommen zu überprüfen und am 20. Mai gab die Mehrheit der Mitgliedsstaaten dafür grünes Licht.

Gaza: Schüsse auf Hilfesuchende nehmen zu

02:19

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Frankreich, Großbritannien und Kanada hatten in einer gemeinsamen Erklärung die jüngste israelische Offensive im Gazastreifen verurteilt und die Auflagen für Hilfslieferungen als "völlig unverhältnismäßig" und möglicherweise als Verstoß gegen humanitäres Völkerrecht beschrieben. Obwohl der Eindruck entstand, es könne nun zu einem Strategiewechsel kommen, hat sich dieses Fenster inzwischen wieder geschlossen.

"Es scheint, als seien viele Mitgliedsstaaten nach der Eskalation zwischen Israel und dem Iran zu ihren alten Positionen zurückgekehrt", schreibt Musiol. "Selbst Staaten wie Deutschland oder Italien, die Israel traditionell stark unterstützen, aber kritischer und direkter geworden waren, haben ihre Tonlage wieder angepasst."

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.

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