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Zweierlei Maß

Rainer Sollich7. Januar 2003

Ein ein amerikanisch angeführter Krieg gegen den Irak scheint wahrscheinlich. Nordkorea dagegen kann fast ungestraft sein Atom-Programm wieder aufnehmen. Offenbar messen die USA mit zweierlei Maß – meint Rainer Sollich.

Was eigentlich unterscheidet Kim Jong Il von Saddam Hussein? Theoretisch nicht viel: Nach amerikanischer Leseart sind beide Diktatoren Anführer von Schurkenstaaten und bilden gemeinsam mit dem Iran eine "Achse des Bösen". Und doch gibt es, neben der wirtschaftlichen Komponente Erdöl, einen entscheidenden Unterschied: Kim Jong Il besitzt angeblich bereits Atomwaffen - nach US-Schätzungen ein bis zwei Bomben. Saddam Hussein hingegen bemüht sich offenbar erst darum. Man kann ihn also noch stoppen.

Es erscheint ungerecht. Aber angesichts dieser Ausgangslage ist es nur logisch, dass die USA Saddam Hussein mit Krieg drohen, während sie den Machthaber in Pjöngjang vorerst nur diplomatisch eindämmen wollen. Atomwaffen schrecken eben ab - vor allem wenn ein derart unberechenbares Regime wie das nordkoreanische über sie verfügt. Und das Risiko eines atomaren Angriffs Pjöngjangs auf ihre Verbündeten Südkorea und Japan wollen die USA verständlicherweise nicht eingehen.

Politisches Kalkül

Die Ungleichbehandlung beider Regime durch die USA folgt einem nüchternen Kalkül. So unabsehbar und riskant die regionalen Folgen eines Irak-Kriegs auch sein würden: Im Falle Nordkorea wäre die Gefahr, dass die Situation außer Kontrolle gerät, noch viel größer. Selbst dann, wenn Atomwaffen gar nicht im Spiel wären und seitens der USA nur zaghaft mit militärischen Maßnahmen gedroht würde.

Die geopolitische Konstellation ist einfach völlig anders: Die Weltsicherheitsrats-Mitglieder China und Russland werden sich die Zustimmung zu einem Irak-Krieg vielleicht abkaufen lassen - wenn der Preis stimmt. Im Nahen Osten gibt es für sie ohnehin nicht sehr viel zu verlieren, die Region wird schon heute weitgehend von den Amerikanern dominiert. Letztlich dürfte es China und Russland reichen, wenn die Amerikaner dort auch ihre Interessen in punkto Öl-Geschäfte und Öl-Versorgung ausreichend mit berücksichtigen.

Diplomatische Offensive

Im Falle Nordkorea jedoch sind russische und chinesische Interessen ungleich stärker berührt - allein schon wegen der geographischen Nähe. Vor allem China könnte nicht tatenlos zusehen, wenn in seiner direkten Nachbarschaft ein handfester Konflikt zwischen Nordkorea und den USA entstünde. Die deutliche Verstärkung amerikanischer Militär-Präsenz in seiner unmittelbaren Umgebung seit dem 11. September ist Peking ohnehin schon ein Dorn im Auge. Wenn die USA nun auch noch Pekings Nachbarn und traditionellen Verbündeten Pjöngjang militärisch drohen würden, dann wäre dies für die - in letzter Zeit bemerkenswert reibungslosen - chinesisch-amerikanischen Beziehungen eine schwere Belastungsprobe mit ungewissem Ausgang.

Insofern weist Südkorea mit seiner derzeitigen diplomatischen Offensive den bestmöglichen Weg aus der Nordkorea-Krise. Es ist vernünftig, Nordkorea und die USA in Richtung Verhandlungstisch zu drängen. Es ist richtig und wichtig, das unmittelbar betroffene Japan mit einzubinden. Und es ist erst recht wichtig, die Chinesen mit an Bord zu haben. Die Großmacht China hat selbst unmittelbares Interesse an einer atomwaffenfreien Nachbarschaft. Jetzt kann Peking beweisen, wie viel Einfluss es noch auf Pjöngjang hat - und dass es aktiv an regionaler und globaler Stabilität mitwirken möchte.

In guter Nachbarschaft

Was bleibt, ist die bittere Erkenntnis: "Schurkenstaaten" haben vor allem dann eine Chance, vom selbst ernannten Weltpolizisten USA verschont zu werden, wenn sie in Nachbarschaft zu konkurrierenden Großmächten liegen. Wenn sie sich rechtzeitig gut bewaffnen. Und wenn sie, wie Nordkorea, dreist genug sind, auf diese Weise Wirtschaftshilfen für ihre bankrotte Diktatur erpressen zu wollen.

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