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Politik

Kosovo: Unabhängig, aber gespalten

16. Februar 2018

Vor zehn Jahren hat sich das Kosovo für unabhängig von Serbien erklärt. Europas jüngster Staat hat auch die jüngste Bevölkerung - und die wird ungeduldig. Eine Reportage von Frank Hofmann aus dem Norden Kosovos.

10 Jahre Kosovo Unabhängigkeit
Bild: DW/DW/Marjan Ognenovski

Es wird dunkel, als sich am südlichen Ende der Brücke von Mitrovica eine kleine Gruppe junger Studenten sammelt. Sie sind mit Lorida Sadiku verabredet, einer jungen Studentin, die einen Englischkurs leitet. Sadiku ist Kosovo-Albanerin, so wie die jungen Leute in der Gruppe, junge Erwachsene, alle um die 20 Jahre alt. Sie bilden die Mehrheit in Europas jüngstem Staat, wo mehr als die Hälfte unter 30 Jahre alt ist. Die jungen Kosovaren aus Mitrovica treffen sich, um gemeinsam über die Brücke zu gehen, die weit über die Grenzen Kosovos hinaus als die "Brücke der Teilung" bekannt ist, denn sie führt vom albanischen Süden in den serbischen Norden der Stadt. Bis heute verläuft entlang des Flusses Ibar in Nord-Kosovo eine Grenze, die die Bevölkerung nach ihrer Volkszugehörigkeit teilt. Der von der bekannten Hilfsorganisation Community Building Mitrovica (CBM) organisierte Englischkurs findet heute in einer Privatuniversität im serbisch dominierten Norden der Kleinstadt statt, der bis heute die Unabhängigkeit Kosovos nicht anerkennt. Und zwar gemeinsam mit der serbischen Englischklasse. "Dabei geht es natürlich nicht nur darum, Englisch zu lernen", sagt Projektleiterin Nataša Saveljić, "sondern auch darum, dass sie etwas gemeinsam machen." Denn, dass junge Albaner und Serben etwas gemeinsam unternehmen, ist auch zehn Jahre nach der Unabhängigkeit von Kosovo eine Besonderheit in der ethnisch geteilten Stadt.

Serbische Fahnen oberhalb der Brücke von MitrovicaBild: DW/DW/Marjan Ognenovski

Gemeinsam in der geteilten Stadt

Die wöchentlichen Kurse finden getrennt statt, nur wenn sie gemeinsame Aktionen vorbereiten, kommen sie zusammen. Heute geht es darum, am Valentinstag Blumen zu verteilen. Deshalb stehen heute nun die beiden Lehrer gemeinsam vor der Tafel: neben der Kosovo-Albanerin Lorida Sadiku ihr Kosovo-serbischer Partner Lazar Zivkovic. Lorida Sadiku studiert noch - an der albanisch dominierten Universität der Stadt Tetovo im Nachbarstaat Mazedonien. Der Serbe Lazar Živković wiederum verbringt viel Zeit im Nachbarstaat Serbien, von dem sich das Kosovo vor zehn Jahren einseitig losgesagt hat. Die gemeinsame Klasse an diesem Abend ist also für alle Beteiligten eine Besonderheit. Und dennoch sieht es von Anfang an so aus, als ob sich diese Gruppe auch irgendwoanders in Europa zusammenfinden könnte. Der Klassenraum der Privatuniversität ist modern eingerichtet, die jungen Serben und Albaner fangen ohne viel Aufhebens an, die Tische und Stühle so zusammenzurücken, dass überall im Raum gemischte Kleingruppen entstehen können.

Serbisch-albanische Englischlehrer: Lazar Živković und Lorida SadikuBild: DW/DW/Marjan Ognenovski

Freiheit gewonnen

Und das, nachdem die albanische Gruppe gerade erst einen Moment des Luftanhaltens hinter sich gebracht hat - beim Gang über die Brücke vom albanischen in den serbischen Teil der Stadt. Für die Lehrerin Lorida Sadiku ist das bis heute etwas Besonderes: Ihre Tante lebt im serbisch dominierten Norden in einer kleinen dort verbliebenen albanisch dominierten Siedlung. "Wir haben sie das erste Mal 2006 zu Hause besucht", sagt Sadiku. Das war sieben Jahre nach dem Kosovo-Krieg, der durch den NATO-Angriff auf Serbien beendet wurde. "Und meine Tante hat sich bestimmt sechs Jahre lang nicht getraut, uns im Süden zu besuchen." Sie hätte über die Brücke gehen müssen. Dass diese Zeit vorbei ist, bedeutet für sie "ein Stück Freiheit". Ihr serbischer Partnerlehrer Lazar Živković steht neben ihr, während sie das erzählt, und schaut etwas ungläubig – Albaner hätten keine Probleme in den serbischen Enklaven im Kosovo, sagt er. Andersherum sei es doch auch so. Und tatsächlich: Zehn Jahre nach der Unabhängigkeit ist die kosovarische Nachkriegsgeneration bei weitem viel mobiler als noch ihre Eltern. Doch bei denen hat sich wiederum kaum etwas verändert.

Im Dunkeln lieber gemeinsam über die Brücke: albanische StudentenBild: DW/DW/Marjan Ognenovski

Brücke als Flaniermeile

Kosovo - unabhängig und gespalten

05:00

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Auf der Brücke von Mitrovica gehen bei gutem Wetter ältere Herren spazieren, manch einer trägt die traditionelle albanische Kopfbedeckung. Die EU hat viel Geld investiert, um die Brücke zu einem Ort der Begegnung umzugestalten. Doch bis heute fahren hier keine Autos. Rechts und links der Fahrbahn gibt es Fahrradwege wie anderswo in Europa, doch sie sind ungenutzt. Nur die Gehwege werden zum Flanieren genutzt. Allerdings drehen die älteren Besucher kurz vor Beginn des serbischen Teils von Mitrovica wieder um. Dort stehen Überreste einer Betonmauer, die der Stadtrat des serbischen Nordens hat aufstellen lassen. Auf den Plänen der Brückensanierung war an der Stelle ein weißer Flecke, sagt Afterdita Sheu, die Leiterin der Organisation, die Serben und Albaner in der Stadt zusammenbringt. Es war ein durchsichtiges politisches Manöver und hat nicht lange gehalten. Wo die Mauer stand, ist jetzt ein Schuttberg, oberhalb davon ist die frühere Hauptstraße durch Nord-Mitrovica zur Fußgängerzone umgestaltet worden.

Albaner und Serben: gemeinsam Englisch lernen Bild: DW/DW/Marjan Ognenovski

Geld von der EU

Darüber wehen serbische Fahnen. Weiter unten im Süden ist einen Steinwurf von der Brücke entfernt ein Sportzentrum entstanden. Neben dem Eingang hängt ein Schild: "Gebaut mit Mitteln der Europäischen Union." Doch bis heute ist die Schwimmhalle drinnen nicht eröffnet. Durch das Dach regnet es herein, heißt es. Das Gebäude für ein neues Einkaufszentrum ist Teil des Bauensembles. Es ist nicht vermietet. "Zu teuer", sagt der Parkwächter davor. Offenbar sollte mit den Einnahmen das Sportzentrum betrieben werden. So genau weiß das aber niemand. Nur eines sagt jeder, der gefragt wird, immer wieder: "Das hat die EU gebaut", auch Valdete Idrizi. Die Kosovarin hat nach dem Krieg die Organisation CBM gegründet, sie selbst ist im heute serbisch dominierten Norden groß geworden und wurde dann während des Krieges von serbischen Soldaten vertrieben. Die Organisation, die Menschen zusammenbringt, hat sie mit internationalen Hilfsgeldern aufgebaut, auch aus der EU. Vergangenes Jahr hat sie sich bei der Bürgermeisterwahl aufstellen lassen und landete im ersten Wahlgang prompt auf Platz eins.

"Hat die EU bezahlt": Brüssel investiert Millionen in der geteilten Stadt MitrovicaBild: DW/DW/Marjan Ognenovski

NGO-Vertreterin nur knapp bei Bürgermeisterwahl gescheitert

Eine der bekanntesten Aktivistinnen der Zivilgesellschaft in Kosovo an der politischen Macht - das wäre ein Durchbruch gewesen für die Verständigung in Mitrovica. Doch vor dem zweiten Wahlgang schlug sich die albanisch-nationalistische Oppositionspartei Vetëvendosje auf die Seite des Amtsinhabers. So wurde die Brückenbauerin Idrizi nur Zweite und die Bürger von Mitrovica müssen weiter auf Aufklärung warten. Zum Beispiel darüber, was schiefgelaufen ist beim Bau des Sportzentrums, in dem einmal Albaner und Serben gemeinsam schwimmen sollen. Idrizi hatte sich von der ehemaligen Regierungspartei von Staatspräsident Hashim Thaçi aufstellen lassen, der viele im Land Korruption vorwerfen. Vielleicht haben manche ihr auch deshalb die Aufklärung nicht zugetraut, viele junge Menschen vor allem. Dabei will Idrizi gerade in ihrer eigenen Partei aufräumen, sagt sie. Doch auch zehn Jahre nach der Unabhängigkeit gehe es eben nach zwei Schritten voraus immer wieder einen zurück. Den gemeinsamen albanisch-serbischen Englischkurs im Nordteil von Mitrovica müssen ein paar der albanischen Studenten vorzeitig verlassen. "Für den Fall", sagt die Lehrerin Lorida Sadiku, "bezahle ich den Leuten immer ein Taxi." Nachts zu Fuß durch den jeweils "anderen" Teil der Stadt, das traue selbst ich mir nicht zu."

Nur knapp gescheitert: Wahlplakat der Bürgermeisterkandidatin Valdete IdriziBild: DW/DW/Marjan Ognenovski

 

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