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Zwerge und Riesen

Martin Schrader20. Februar 2003

Im internationalen Maßstab gehören deutsche Aktiengesellschaften zu den Zwergen an den Börsen. Der Grund dafür ist ihr geringer Marktwert. Selbst in Europa werden sie von etlichen Unternehmen um ein Vielfaches überragt.

Die Musik spielt in der Wall Street - nicht in Frankfurt am MainBild: AP

Die Börsen-Baisse der vergangenen Jahre hat den Unternehmen weltweit zugesetzt. Hunderte von Milliarden Dollar und Euro wurden vernichtet. Viele Konzerne sind heute nur noch ein Bruchteil dessen wert, was sie vor drei Jahren kosteten. Besonders drastisch stürzten die Kurse deutscher Aktiengesellschaften ab. Sie verloren im internationalen Maßstab überdurchschnittlich an Börsenwert.

Da hilft auch Polieren nicht - die Deutsche Telekom gehört nicht wirklich zu den "Global Playern"Bild: AP

Die Folge dieses Absturzes: Unter den Top-20 Aktiengesellschaften befindet sich gemessen am Marktwert kein einziger deutscher Konzern mehr. Das teuerste deutsche Unternehmen ist derzeit die Deutsche Telekom. Sie kostet nach Berechnungen von Deutsche Bank Equity Research etwa 51 Milliarden Euro. Damit ist der Bonner Telekom-Konzern acht Milliarden Euro billiger als die Nummer 20 in der Weltrangliste, der finnische Handy-Hersteller Nokia.

Microsoft vorn

Gemessen an den Schlusskursen vom vergangenen Freitag (15.2.2003) ist Microsoft das teuerste börsennotierte Unternehmen der Welt. Der US-amerikanische Software-Hersteller, der mit seiner PC-Software quasi eine Monopol-Stellung auf dem Weltmarkt besetzt, kostet umgerechnet etwa 247 Milliarden Euro. Auf den Plätzen zwei bis sieben folgen gleichfalls US-Aktiengesellschaften, darunter der Öl-Konzern Exxon Mobil (219 Milliarden Euro), der Misch-Konzern General Electric (218), die Kaufhaus-Kette Wal Mart (209), das Pharma-Unternehmen Pfizer (163), der Finanzdienstleister Citigroup (158) sowie der Konsumartikel- und Pharma-Hersteller Johnson & Johnson (147).

Bill Gates schuf das mittlerweile teuerste Unternehmen das an einer Börse notiert istBild: AP

Mit dem britischen Mineralöl-Konzern BP (130) und dem gleichfalls britischen Mobilfunk-Unternehmen Vodafone (117) rangieren lediglich zwei Konzerne aus Europa unter den Top 10. Sie liegen auf den Plätzen acht und zehn, dazwischen findet sich mit dem Computer-Hersteller IBM (126) eine weitere Aktiengesellschaft aus den USA.

Klangvolle Namen

Selbst im europäischen Maßstab gehören deutsche AGs zu den Leichtgewichten. Kein einziger Vertreter der so genannten Deutschland AG schafft es derzeit unter die zehn größten Konzerne Europas. Hier finden sich vor allem Unternehmen, die ihren Hauptsitz in Großbritannien oder in der Schweiz haben. Mit BP, Vodafone, GlaxoSmithKline, dem Bankkonzern HSBC, und der Royal Bank of Scotland stammt die Hälfte der europäischen Spitzengruppe aus dem Vereinigten Königreich. Weitere Plätze belegen die beiden schweizerischen Unternehmen Novartis und Nestlé. Außerdem gehören die Öl-Konzerne Royal Dutch Petroleum (Niederlande) und TotalFinaElf (Frankreich) sowie Nokia (Finnland) zu den Riesen auf dem europäischen Börsen-Parkett.

Hauptsitz von DaimlerChrysler in Stuttgart-UntertürkheimBild: AP

Große deutsche Konzerne, die hierzulande klangvolle Namen haben wie zum Beispiel Siemens, DaimlerChrysler oder die Allianz sind geradezu kleine Fische, betrachtet man ihre Marktkapitalisierung durch eine globale Brille. Der Elektronik-Konzern Siemens in München kostet derzeit rund 31 Milliarden Euro, DaimlerChrysler knapp 27 Milliarden und die Allianz 18 Milliarden. Insgesamt haben die dreißig Unternehmen aus dem Standardwerte-Index DAX einen Marktwert von etwa 350 Milliarden Euro, ein Viertel weniger also als die beiden größten US-Konzerne zusammen.

"Schnäppchen"

Sind deutsche Konzerne also "Schnäppchen", die von ihren internationalen Wettbewerbern über kurz oder lang übernommen werden? Diese Frage wird von Experten auf dem Feld der "Merger & Acquisitions", also Fusionen und Übernahmen, verneint. "Bei Übernahmen ist es ja nicht so wie auf dem Schnäppchen-Markt: weil ein Unternehmen billig ist, kauft man es", sagt ein M&A-Experte einer großen Frankfurter Bank, der lieber ungenannt bleiben möchte. Zwei andere Faktoren seien viel entscheidender: Erstens müsse der Übernahme-Kandidat in die Strategie des potentiellen Käufers passen. Zweitens sei ein Kauf nur interessant, wenn ein Unternehmen wirtschaftlich profitabel, gleichzeitig aber an der Börse gering bewertet sei – eine Perle auf dem Börsenparkett also.

Kein Interesse

Ein praktisches Beispiel für diese Theorie ist Deutschlands viertgrößte Privatbank, die Commerzbank. Ihr Börsenkurs stürzte von mehr als 47 Euro auf weniger als 6,50 Euro ab. Der Börsenwert sackte auf etwa drei Milliarden Euro ab. Die um ein Fünfzigfaches größere Citigroup aus den USA, die in Deutschland bereits mit der Citibank vertreten ist, würde eine Übernahme kaum mehr als die Hälfte eines Jahresgewinns kosten. Trotzdem haben die Amerikaner bisher nicht zugeschlagen. Auch die britische HSBC, immerhin dreißig mal so teuer wie die Co'Bank, zeigt kein Interesse. Die Gründe dafür sind nach Einschätzung von Kennern der Branche klar: Die Commerzbank hat große Probleme profitabel zu wirtschaften und ist weit davon entfernt, eine Perle auf dem Parkett zu sein. Sie ist deshalb kein interessanter Übernahme-Kandidat.

International operierende Konzerne legen zudem großen Wert auf ein wirtschaftlich interessantes Umfeld, erläutert ein Stuttgarter M&A-Fachmann. "Wenn das allgemeine wirtschaftliche Szenario in einem Land stimmt, steigt in den Augen ausländischer Wettbewerber auch die Attraktivität seiner Konzerne", so Bernhard Paitz von der Landesbank Baden-Württemberg. Angesichts der wirtschaftlichen Schieflage Deutschlands haben die DAX-Federgewichte deshalb in naher Zukunft vermutlich keine unerwünschten Avancen aus Übersee zu befürchten. Dort ist die Angst viel zu groß, man könnte sich im deutschen Bürokratie-Dschungel mit einer Übernahme die Finger verbrennen.

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