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Politik

Mehr als nur ein zerstörter Baum

4. Oktober 2019

Blumenhändler Enver Simsek wird 2000 kaltblütig von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt erschossen. In Zwickau wurde jetzt ein Gedenkbaum für das erste NSU-Opfer von Unbekannten abgesägt.

Passanten gehen am Gedenkort für NSU-Opfer Enver Simsek in Zwickau vorbei
Bild: picture-alliance/dpa/S. Willnow

Am selben Tag, an dem Bundeskanzlerin Angela Merkel in Kiel ein klares Nein zu Intoleranz, Antisemitismus und Ausgrenzung von Minderheiten fordert und in der Zwickauer Innenstadt das "Bündnis für Demokratie und Toleranz in der Zwickauer Region" zu einem Konzert eingeladen hat, sägen Unbekannte im Schwanenteichpark eine gerade einmal vier Wochen alte Eiche ab.

Es ist nicht irgendein Datum und auch nicht irgendein Baum. Die Eiche wurde im Gedenken an Enver Simsek gepflanzt - das erste von insgesamt zehn Opfern der rechtsextremen Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU). Und das Datum ist der 3. Oktober, der Tag der Deutschen Einheit.

NSU-Terroristen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatten fast 14 Jahre lang im Untergrund gelebt - den Großteil davon in Zwickau. In dieser Zeit ermordete der NSU zehn Menschen, die Terroristen begingen zwei Sprengstoffanschläge mit vielen Verletzten und mehr als ein Dutzend Raubüberfälle. Der NSU flog am 4. November 2011 auf, Mundlos und Böhnhardt nahmen sich das Leben, Beate Zschäpe wurde des zehnfachen Mordes für schuldig gesprochen und zu lebenslanger Haft verurteilt.

Oberbürgermeisterin von Zwickau schockiert

Als der NSU auffliegt, ist Pia Findeiß bereits Oberbürgermeisterin von Zwickau. Heute, acht Jahre später, verurteilt die SPD-Politikerin die "ruchlose Tat", die mehr sei als bloße Sachbeschädigung: "Das Absägen des Baumes zeugt von Intoleranz, mangelndem Demokratieverständnis und von Verachtung gegenüber Terroropfern und deren Angehörigen." Es zeige auch, dass manche leider nicht begriffen hätten, "welch menschenverachtende Taten die Terroristen des NSU begangen haben".

Seit Jahren wird Zwickaus Oberbürgermeisterin Pia Findeiß von der rechten Szene bedroht Bild: picture-alliance/AP Photo/J. Meyer

Auch Mathias Merz ist fassungslos. "Die rechtsextreme Szene in Zwickau ist vorhanden und aktiv," sagt der Pressesprecher der Stadt Zwickau, "aber es gibt auch sehr viele Bürger, die sich engagieren, die auch Gesicht zeigen und Rückgrat beweisen." An dem abgesägten Baum seien bereits Blumen niedergelegt worden. "Und Privatpersonen haben dazu aufgerufen zu spenden, um einen neuen Baum pflanzen zu können," so Merz.

Schon der jetzt abgesägte Baum wurde durch Spendengelder finanziert. "Wenn sich die Stadt an der Baumbepflanzung beteiligen müsste, wäre das nicht das große Thema, aber auf der anderen Seite ist es ein gutes Zeichen, wenn so etwas aus der Zivilgesellschaft, aus der Unternehmerschaft kommt," findet Merz.

Gedenkbaum in Sichtweite zum Denkmal für die Opfer des Faschismus

Schon lange hatte die 90.000-Einwohner-Stadt in Sachsen überlegt, wie sie der Opfer des NSU-Terrors gedenken könnte - schließlich hatten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe von 2000 bis zu ihrer Enttarnung in Zwickau gelebt. "Es gab den Vorschlag, ein Denkmal in der Frühlingsstraße zu errichten, wo die NSU-Terroristen zuletzt gewohnt haben, aber da hatten wir die Befürchtung, dass es zu einer Pilgerstätte für Nazis werden könnte", erinnert sich Mathias Merz.

"Und dann wurde die Idee geboren, Bäume für jedes der zehn NSU-Opfer im Schwanenteichpark zu pflanzen, weil es dort schon ein Denkmal für die Opfer des Faschismus gibt. Und den Zusammenhang wollten wir gerne herstellen", so Merz weiter.

Am 8.September gepflanzt, jetzt zerstört: die Eiche, die an das erste Mordopfer des NSU-Terrors erinnertBild: Stadt Zwickau

2016 war in der viertgrößten Stadt Sachsens schon einmal ein Mahnmal für die NSU-Opfer geschändet worden. Mehrere Bänke mit den Namen der Opfer waren in der Innenstadt mit Farbe beschmiert und das Holz beschädigt worden. Oberbürgermeisterin Findeiß kritisierte damals die Gleichgültigkeit der Bevölkerung und zog einen Vergleich zur Pogromnacht.

1938 habe die Bevölkerung auch hingenommen, dass Menschen verhaftet worden sind. "Und es gibt jetzt auch keinen Aufschrei, wenn das Andenken geschändet wird an die Opfer des NSU." Sie wolle nicht unterstellen, dass es flächendeckend rechtsextremistisches Gedankengut gebe. "Aber es ist Ignoranz, es ist Gleichgültigkeit", sagte Pia Findeiß damals.

Wie in Zukunft in Zwickau der NSU-Opfer gedacht wird, ist noch unklar

Heute ist es Regierungssprecher Steffen Seibert, der das Absägen des Gedenkbaumes als "bestürzend" bezeichnet und fordert, "dass man diese Tat wirklich scharf verurteilen und aufklären muss". Die lange und lange unerkannte Mordserie des NSU sei ein Anlass zur Scham. "Und an die Opfer dieser Mordserie zu erinnern, das sind wir den Opfern, das sind wir den Familien, das sind wir aber auch uns selbst und unserem Kampf für Demokratie und Pluralität in unserem Lande schuldig", erklärt Seibert.

Nach Angaben der Zwickauer Polizeidirektion ermittelt nun der Staatsschutz. Ob die Eiche ersetzt wird und wie geplant weitere neun Bäume gepflanzt werden, entscheidet die Stadtverwaltung in den nächsten Tagen. Gut möglich, dass das "Bündnis für Demokratie und Toleranz der Zwickauer Region" eine Idee hat.

Seit sieben Jahren veranstaltet die Gruppe die "Novembertage". Mit dutzenden Veranstaltungen erinnert das Bündnis an die friedliche Revolution 1989, die Pogrome vom November 1938 und den NSU-Terror. Für den 9. November geplant: Das Putzen der Stolpersteine in Erinnerung an die Opfer der Nazi-Diktatur. In der Nähe der abgesägten Eiche ist auch eine Gedenktafel für Enver Simsek eingelassen.

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