Zwingt Munitionsmangel die USA zur Wende bei Ukraine-Hilfe?
Veröffentlicht 2. Juli 2025Zuletzt aktualisiert 2. Juli 2025
Die USA stoppen wichtige Waffenlieferungen an die Ukraine, die noch unter Präsident Joe Biden zugesagt worden waren. Die stellvertretende Sprecherin des Weißen Hauses, Anna Kelly, bestätigte entsprechende Medienberichte auf Nachfrage der Nachrichtenagentur AFP: "Diese Entscheidung ist getroffen worden, um die Interessen Amerikas an erste Stelle zu setzen", so Kelly.
"Die Stärke der US-Streitkräfte bleibt unbestritten - es genügt, den Iran zu fragen", fügte Kelly mit Blick auf einen kürzlich erfolgten US-Angriff auf iranische Atomanlagen hinzu. Nach Informationen der Zeitung "Politico" und anderen US-Medien betreffen die gestoppten Lieferungen vor allem Raketen für das Luftabwehrsystem Patriot sowie Präzisionsartillerie und Granaten.
Sorge um eigene Munitionsvorräte
Der Hintergrund des Lieferstopps liegt offenbar in der angespannten Munitionslage der USA selbst. "Politico" beruft sich auf die Aussage eines nicht namentlich genannten US-Beamten. Das Verteidigungsministerium in Washington habe bei einer internen Prüfung festgestellt, dass bestimmte zugesagte Waffen in zu geringen Mengen verfügbar seien. Daher würden einige der geplanten Lieferungen vorerst ausgesetzt.
Trotz wiederholter Spannungen mit Kyjiw hatte die Regierung von Präsident Donald Trump bisher wesentliche Teile der von Biden eingeleiteten Militärhilfe fortgeführt. Während Bidens Amtszeit belief sich die US-Militärhilfe für die Ukraine auf über 60 Milliarden Dollar (etwa 51 Milliarden Euro).
Der angekündigte Lieferstopp traf die Ukraine unvorbereitet. Das Verteidigungsministerium in Kyjiw erklärte am Mittwoch, es habe keine offizielle Benachrichtigung erhalten über eine "Aussetzung oder Überarbeitung der Lieferpläne für die vereinbarte Verteidigungshilfe". Der ukrainische Präsidentenberater Dmytro Lytwyn sagte, Kyjiw bemühe sich um eine "Klärung der Situation". Er gehe davon aus, "dass sich in den nächsten Tagen alles aufklärt".
Der Vize-Leiter der US-Botschaft in Kyjiw, John Ginkel, wurde zu einem Gespräch ins ukrainische Außenministerium geladen. Bei dem Treffen habe die ukrainische Seite betont, dass "jede Verzögerung oder Zögerlichkeit bei der Unterstützung der Verteidigungsfähigkeiten der Ukraine den Aggressor nur dazu ermutigen würde, den Krieg fortzusetzen," hieß es in einer Erklärung des Außenministeriums.
Russland freut sich über ausgesetzte Waffenlieferungen
Der Kreml begrüßte die Entscheidung der USA. "Je weniger Waffen an die Ukraine geliefert werden, desto näher rückt das Ende der militärischen Spezialoperation", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow in Moskau. Er verwendete dabei die offizielle russische Bezeichnung für den seit mehr als drei Jahren andauernden russischen Angriffskrieg. Das ukrainische Verteidigungsministerium betonte hingegen, dass eine Beendigung des Kriegs nur erreicht werden "durch konsequenten und gemeinsamen Druck auf den Aggressor sowie durch fortgesetzte Unterstützung für die Ukraine".
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte Anfang Juni vor massiven Auswirkungen für sein Land gewarnt, falls die USA die Unterstützung für die Ukraine kürzen oder ganz einstellen sollten.
Bereits seit Januar wurden von den USA keine neuen Hilfspakete mehr für die Ukraine beschlossen. Trump hatte beim Gipfel der NATO vergangene Woche in Den Haag Selenskyj lediglich vage Zusagen gemacht. Auf die Frage nach neuen Patriot-Systemen antwortete der US-Präsident: "Wir werden sehen, ob wir welche zur Verfügung stellen können. Sie sind sehr schwer zu bekommen."
Macron setzt auf Telefondiplomatie
Derweil führten Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Russlands Staatchef Wladimir Putin erstmals seit zweieinhalb Jahren ein Telefongespräch. Macron forderte dabei eine rasche Waffenruhe und den Beginn von Verhandlungen zwischen den Regierungen in Moskau und Kyjiw, heißt es aus Paris.
Der Kreml in Moskau ließ wiederum verlauten, Putin habe Macron mitgeteilt, dass "die Ursachen des Konflikts in Kyjiw" zu beseitigen seien. Zudem müsse die Realität vor Ort anerkannt werden.
Putin erneuerte damit die russischen Gebietsansprüche - neben der bereits 2014 annektierten Krim fordert Russland weiterhin die Regionen Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja im Osten der Ukraine. Zudem betonte der russische Präsident das Ziel, eine "Pufferzone" im Grenzgebiet zu schaffen, wodurch weitere ukrainische Gebiete unter russische Kontrolle geraten würden.
Mutmaßliche Angriffe im Umfeld eines Atomkraftwerks
Nur wenige Stunden nach dem Telefonat wurden erneut schwere Angriffe gemeldet: In der Region Charkiw traf ein russischer Drohnenangriff ein Wohngebiet - mindestens ein Mensch starb, ein weiterer wurde verletzt, wie Regionalgouverneur Oleh Synehubow mitteilte. Auch der Stadtbezirk Nowobawarskyj in Charkiw wurde laut Bürgermeister Igor Terechow angegriffen.
Gleichzeitig berichtete die ukrainische Armee von einem Gegenschlag auf eine russische Ölraffinerie in der Region Saratow. Diese Anlage werde von Russland genutzt, um Truppen im Krieg gegen die Ukraine mit Treibstoff zu versorgen. Eine Bestätigung durch russische Behörden gibt es bislang nicht.
Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) untersucht derzeit außerdem Hinweise auf einen möglichen Drohnenangriff in der Nähe des von Russland besetzten Atomkraftwerks Saporischschja. Laut IAEA wurden mehrere Fahrzeuge beschädigt. Der mutmaßliche Angriff ereignete sich rund 600 Meter von einem der sechs Reaktoren entfernt.
Die Reaktoren sind derzeit zwar abgeschaltet, dennoch warnte IAEA-Chef Rafael Grossi eindringlich: "Sollte sich dieser Bericht bestätigen, wäre dies ein völlig inakzeptabler Angriff in der Nähe eines großen Atomkraftwerks. Wer auch immer hinter solchen Angriffen steckt, spielt mit dem Feuer."
Vor Ort beobachtete das IAEA-Team zwar keine direkten Schäden an den Reaktoren oder Drohnenüberreste, jedoch verbranntes Gras und verkohlte Vegetation. Bereits im Februar hatte laut der ukrainischen Regierung eine russische Drohne die Schutzhülle des havarierten AKW Tschernobyl getroffen.
pgr/AR/jj (afp, dpa, rtr)
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