Zwischen Allah und dem Argwohn
11. September 2013 In Deutschland, erzählt der Mann mit dem dichten Bart und der dunkelblauen Tunika, der sich als Ahmed vorstellt, habe man ihn zum ersten Mal wie einen richtigen Menschen behandelt: "Und nicht wie einen dreckigen Roma." In seiner südbulgarischen Heimatstadt Pazardhzik verweigern ihm, dem Roma, viele Cafébesitzer den Eintritt. Auch am Stadt-Strand finden oft plötzlich "Privatpartys" statt, bei denen er nicht willkommen ist. "Aber in Deutschland wurde ich überall bedient." Ahmed lächelt.
Wie viele der anderen Männer, die im Schatten der kleinen gift-grünen Moschee sitzen, Kaffee trinken und plaudern, ist Ahmed für den Ramadan zurück nach Pazardzhik gekommen.
Fast alle haben dichte Bärte, die Jüngeren tragen lange Tuniken - oder aber enge Jeans und knappe T-Shirts. Bald werden sie wieder nach Deutschland reisen, nach München, Berlin oder Köln, um Möbel zu schleppen, Wände zu bemalen oder auf dem Bau auszuhelfen. "Wenn Sie Handwerker suchen, wir organisieren uns", sagt Ahmed und fügt hinzu: "Egal wo." Denn Arbeit gibt es für Pazardzhiks Roma in ihrer Heimat kaum: Mehr als 90 Prozent von ihnen sind nach Angaben des Helsinki-Komitees, einer bulgarischen Menschenrechtsorganisation, arbeitslos.
"Jetzt atmet die Religion wieder"
Ahmed entschuldigt sich höflich, gleich beginne die Predigt. Die Männer, die ihre Sandalen abstreifen, um den Gebetsraum der Moschee zu betreten, sind ebenfalls Mitglieder der über Jahrhunderte benachteiligten und ausgegrenzten Roma-Minderheit. In den größeren Städten wie Pazardzhik leben sie oft in Ghettos, aus denen die Bulgaren nach der Wende nach und nach weggezogen sind. Besonders benachteiligt sind die Muslime unter ihnen: Während des Kommunismus wurden sie gezwungen, ihre muslimischen Namen aufzugeben, erklärt Yuliana Metodieva vom Helsinki-Komitee. Auch hätten sie oft ihre Kinder nicht beschneiden dürfen. "Man hat ihnen außerdem gedroht, dass sie keine Arbeit bekämen, falls sie in die Moschee gehen."
Nach der Wende aber hätte der Islam eine Renaissance in Bulgarien erfahren, sagt Metodieva. "Jetzt atmet die Religion wieder." Der Argwohn gegenüber Muslimen aber sei unverändert groß. Die staatlichen Institutionen und auch die Medien seien Muslimen sehr feindselig gegenüber eingestellt. "Die suchen ständig nach Zellen von Al-Kaida in Bulgarien!" Metodieva schüttelt den Kopf: Muslime, darunter auch viele Roma, würden sich lediglich auf ihren alten Glauben zurückbesinnen.
"Das ist der authentische Islam"
Das sieht die Staatssicherheit anders: Sie beschuldigt mehrere Imame, darunter auch den Imam des Roma-Viertels in Pazardzhik, ultraorthodoxe salafistische Lehren, sogar "Terrorismus" zu verbreiten und Gelder aus Saudi-Arabien anzunehmen. Es gab auch Anschuldigungen, dass Frauen bezahlt werden, damit sie ein Kopftuch tragen. Wiederholte Interviewanfragen wurden von der Staatssicherheit mit Hinweise auf laufende Verfahren abgelehnt. Metodieva ist überzeugt, dass der Prozess, der seit 2012 läuft, ein Ausdruck der feindlichen Stimmung im Land ist: "Bislang fehlen tatsächliche Beweise, dass die Leute gefährlich sind!"
Salafismus? Gelder und Lehren aus dem Ausland? Ahmed Ahmedov schüttelt den Kopf. Der Sprecher des bulgarischen Muftis weist die Vorwürfe ausdrücklich zurück: "Wir können uns gar nicht leisten, Menschen einzustellen, die nicht gut genug ausgebildet sind oder nicht wissen, wie die Religion in diesem Lande ausgeübt wird." Der Großteil der Imame werde in Bulgarien ausgebildet, nur wenige würden in der Türkei oder Ägypten studieren. Immer wieder klingelt Ahmedovs Handy: Es geht um Sicherheitsvorkehrungen und Polizeikräfte für ein bevorstehendes Fest in einer Moschee. Sein Übergang zum Interview ist nahtlos: Die Gesellschaft habe Angst vor dem Salafismus, dabei sei er letztlich nur eine bestimmte Art den Islam zu praktizieren. "Das ist der authentische Islam." Aber, fügt er dann hinzu, eigentlich nehme die bulgarische Gesellschaft solche salafistischen Strömungen überhaupt nicht auf.
Frauen in Burkas sind keine Seltenheit
Im Innenhof seiner Moschee nickt der Iman Ahmed Moussa kurz zur Begrüßung. Seine Hand reicht er nur dem Übersetzer, nicht aber der Journalistin. Normalerweise rede er nicht mit Frauen, sei aber bereit, eine Ausnahme zu machen: Er wolle über den Prozess und die Vorwürfe, die die Staatssicherheit gegen ihn erhebt, reden. Ein staubiger Weg führt zu dem dicken Eisentor, hinter dem sich Moussas kleines Haus versteckt. Eine Frau lehnt aus ihrem kleinen Kiosk, um mit zwei Kindern zu reden. Der ganz in schwarz verhüllten Frau, die in eine Seitengasse verschwindet, widmen sie keinen Blick: Frauen in Burkas sind in Pazardzhik keine Seltenheit.
Der Imam serviert Kaffee und Sahnetorte und häuft den Teller noch mit Baklava-Gebäck. Auf mehreren Regalen sind türkisch- und arabischsprachige Bücher aufgereiht, auf dem Schreibtisch steht ein Computer, vom Bildschirm lächelt eine Barbie in den Raum: Ihre langen blonden Haare fallen über ihre Schultern. Shasineh, seine Frau, zupft noch kurz an ihrer Burka, bevor sie den Raum betritt.
Seit drei Jahren verhülle sie sich. "Die Leute in der Stadt haben sich schon daran gewöhnt." Gut, manche würden natürlich schon schimpfen. "Wer bezahlt euch? Warum macht ihr das? Solche Sachen!" Ihre Tochter dürfe wegen ihres Kopftuchs nicht auf die Schule in Pazardzhik gehen. Warum also? Aus Angst, sonst nicht ins Paradies zu kommen, sagt Shasineh, die früher Svetlana hieß, und lächelt. Traditionell ist der Islam der Roma eine Mischung aus muslimischem Glauben, alten Ritualen und bunten, locker-gebundenen Kopftüchern. Früher sei sie zusammen mit den anderen Frauen im Viertel am Ende des Winters zum Fluss gegangen, um für Gesundheit durch die Kraft des Wassers zu beten. "Aber das kann ich jetzt nicht mehr machen. Das geht doch gegen Allah!" Sie lächelt.
Radikalisierung im Ausland?
Mittlerweile gebe es immer mehr Menschen, die sich von den alten Traditionen abwendeten, sagt Ahmed Moussa. Im Viertel wohnen etwa 40.000 Roma, darunter Christen, Muslime und Atheisten. 600 Menschen gehören zu Ahmed Moussas Gemeinde - und es werden immer mehr, sagt der Imam. Die Gemeinde habe seit dem Prozess einen stärkeren Zulauf. Allerdings hätten viele von ihnen erst im Ausland zum "wahren Islam", wie er ihn nennt, gefunden. "Also, sie waren nicht ganz ungläubig, als sie hingefahren sind, aber auch nicht besonders gläubig. Dann haben ihnen dort Muslime geholfen und sie sind mit einem stärkeren Glauben wiedergekommen."
Dieser Glaube, fügt Moussa an, habe das Viertel verändert: Es habe früher viel Gewalt, Alkohol und Drogen im Viertel gegeben, 12-Jährige hätten geheiratet und Kinder bekommen. "Das hat sich alles geändert!" Aber was ist mit den radikalen Tendenzen, die ihm die Staatssicherheit vorwirft? Moussa schüttelt den Kopf: "Hier im Viertel wird niemand radikal, das ist sehr unwahrscheinlich! Eher, dass sie bei euch in Deutschland oder in der Türkei irgendwelche Radikale kennen lernen und dann zurückkommen. Aber hier im Viertel?" Er schüttelt den Kopf. Die Vorwürfe gegen ihn seien politisch motiviert - die Behörden hätten einfach Angst vor dem Islam. Er glaubt nicht, dass der Prozess gerecht ausgehen wird. Aber Angst vor einer Verurteilung habe er keine: "Der Prophet musste schließlich auch für seinen Glauben leiden." Er lächelt sanft.
Die Recherche der Autorin in Bulgarien wurde von der Robert-Bosch-Sitftung finanziert.