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Literatur

Zwischen Faszination und Kinderschreck

Anna Ellbracht
22. September 2019

Pädagogisch wertvoll oder ein Horror-Kinderbuch? Der "Struwwelpeter" von Heinrich Hoffmann polarisiert. Warum er auch heute noch aktuell und relevant ist, zeigt jetzt eine Ausstellung in der Ludwiggalerie in Oberhausen.

Struwwelpeter
Bild: picture-alliance/Mary Evans Picture Library

"Sieh einmal, hier steht er/ Pfui! der Struwwelpeter!" So beginnt eines der wohl bekanntesten Kinderbücher Deutschlands, wenn nicht sogar der ganzen Welt. Der Frankfurter Arzt und Psychiater Heinrich Hoffmann (1809-1894) schrieb das Bilderbuch "Der Struwwelpeter" im Jahr 1844, nachdem er auf der Suche nach einem Kinderbuch für seinen dreijährigen Sohn Carl laut eigener Aussage nur "alberne Bildersammlungen und moralische Geschichten" in den Läden fand. Daher kaufte er einfach ein leeres Heft und schrieb die Geschichte selbst.

Die Erfolgsgeschichte

"Der Struwwelpeter" gilt als eines der ersten erzählenden Bilderbücher, die Text und Bild miteinander verknüpften. Die Geschichte verkaufte sich bestens. Bis zum Tod Hoffmanns erschienen mehr als 950.000 Exemplare.

Arzt und Autor: Heinrich HoffmannBild: ullstein bild

Der Erfolg des Kinderbuchs beschränkte sich nicht nur auf den deutschsprachigen Raum. Hoffmann selbst bemerkte später zu der großen Nachfrage: "Der Schlingel hat sich die Welt erobert, ganz friedlich, ohne Blutvergießen, und die bösen Buben sind weiter auf der Welt herum gekommen als ich. Sie haben allerlei Sprachen gelernt, die ich selbst nicht verstehe."

Heute liegt der Kinderbuch-Klassiker "Der Struwwelpeter" in über 40 Sprachen und in 70 verschiedenen Dialekten vor. Das Büchlein gilt als eines der einflussreichsten Werke der Kinderliteratur des 19. Jahrhunderts - allerdings auch als eines, das für viele Kontroversen gesorgt hat.

Die Geschichten vom Struwwelpeter und Co.

Das Bilderbuch enthält mehrere sich reimende Geschichten, die alle von ungehorsamen Kindern handeln. Die Erzählungen haben eines gemeinsam: Die Kinder weigern sich, auf die Verbote ihrer Eltern zu hören und erleiden deswegen grausige Strafen.

Paulinchen in "Die gar traurige Geschichte mit dem Feuerzeug"Bild: Angela Bugdahl

So erzählt Hoffmann von einem Mädchen namens Paulinchen, das trotz der Warnung ihrer Eltern mit Streichhölzern spielt und am Schluss verbrennt. Der Suppen-Kaspar verhungert, weil er sich weigert zu essen, und Konrad werden beide Daumen abgeschnitten, weil er nicht aufhört, daran zu lutschen.

Drakonische Folgen erleiden auch Hans Guck-in-die-Luft, der es nicht für nötig hält, seinen Blick zu senken und ins kalte Wasser fällt, und der Zappel-Philipp, der beim Kippeln das Tischtuch runterreißt. Die bösen Buben verspotten einen "Mohren" und werden deswegen in einem riesigen Tintenfass schwarz gefärbt. Die Titelfigur Struwwelpeter wird von anderen verspottet, da er sich weigert seine Haare und Fingernägel zu schneiden.

Die Erzählungen konnten zu ihrer Zeit allesamt als drohende Warnung für Kinder verstanden werden und zeigten die Folgen eines kindlichen Ungehorsams auf eine überspitzte Art und Weise in Bild und Text dar.

Die Faszination des Struwwelpeters

Seit seinem Erscheinen ist der "Struwwelpeter" vielfach parodiert und adaptiert worden. Die allseits bekannte Kinderbuchfigur wurde sogar zur politischen Satire verwendet und immer wieder an die gegenwärtige Zeit angepasst. Zum beispiellosen Erfolg hat neben der neuen Darstellungsform auch die für die Zeit untypische Bildsprache gesorgt, die Hoffmann in seiner Geschichte verwendete.

"Man muss sich vorstellen, dass im Biedermeier die Bilderbücher so angelegt waren, dass sie Kindern Moralvorstellungen gezeigt haben. Es war alles sehr lieblich dargestellt, weil man eine Idealvorstellung vom braven, gehorsamen Kind hatte. Und genau so wurde es zu der Zeit in den Büchern abgebildet", erklärt Linda Schmitz, die Kuratorin der Struwwelpeter-Ausstellung in der Ludwiggalerie in Oberhausen. Brave Biedermeier-Kinder kommen bei Hoffmann allerdings nicht vor: Seine Protagonisten sind frech und eigensinnig - und alles andere als gehorsam.

Der Struwwelpeter in seiner ursprünglichen FormBild: Heinrich Hoffmann

Schwarze Pädagogik?

Heinrich Hoffmann war Psychologe und als solcher davon überzeugt, dass es nichts nutzt, Kinder einfach nur aufzufordern, brav zu sein. Daher veranschaulichte er die Folgen von Regelmissachtungen auf sehr drastischste Weise. Im Laufe der Zeit waren seine Geschichten daher als schwarze Pädagogik verpönt.

Diese Einschätzung hat sich heute allerdings gelockert. Mittlerweile wird der "Struwwelpeter" vielmehr aus seiner Zeit heraus betrachtet, wo er durchaus als fortschrittlich angesehen wurde.

"Das ist alles karikiert angelegt, aber es ging natürlich auch darum, eine Verhaltensänderung zu bewirken. Also den Kindern zu verdeutlichen: Das kann passieren, wenn du mit dem Feuer spielst", sagt Kuratorin Linda Schmitz im DW-Interview.

 Hoffmann habe den Kindern aber nicht sinnlos Angst machen, sondern sie nur in aller Deutlichkeit vor den Gefahren des alltäglichen Lebens warnen wollen. So war es im Jahr 1844 zum Beispiel ein größeres Problem, wenn ein Kind immer am Daumen lutschte, da die hygienischen Bedingungen noch nicht so waren wie heutzutage. 

Der Struwwelpeter in moderner Comic-FormBild: David Füleki

Aktualität des Struwwelpeters

Auch wenn die Geschichten des "Struwwelpeters" aufgrund der radikal dargestellten Erziehungsmaßnahmen aus heutiger Sicht nicht mehr zeitgemäß klingen, werden sie dennoch bis heute gelesen. Die Figuren sind aktuell geblieben und  Ausdrücke wie "Zappel-Phillip" oder "Struwwelpeter" sind auch im heutigen Sprachgebrauch verankert. "Die Figuren werden bis heute benutzt um die Gesellschaft zu karikieren und abzubilden", meint Linda Schmitz. "Sie haben sich in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt."

Die Ausstellung "Der Struwwelpeter. Zappel-Philipp, Paulinchen und Hanns Guck-in-die-Luft zwischen Faszination und Kinderschreck von Hoffmann bis Böhmermann" ist vom 22.09. 2019 bis zum 12.01.2020 in der Ludwiggalerie in Oberhausen zu sehen.

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