Zwischen Freiheit und Tod
14. August 2011Es waren dramatische Szenen, die sich 1961 in Berlin abspielten: In der Nacht zum 13. August ließ die Führung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) unter Walter Ulbricht Stacheldraht ausrollen, um die Übergänge in den westlichen Teil zu schließen. Von einem Moment auf den nächsten war Ulbrichts Aussage, die er zwei Monate zuvor gemacht hatte, wertlos: "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!"
Plötzlich durfte keiner mehr ungehindert, ohne Genehmigung und ohne Kontrollen nach West-Berlin und zurück. Als die Mauer erbaut wurde, kam es vor allem in der Bernauer Straße zu bewegenden Fluchtszenen. Die Häuser gehörten plötzlich noch zum Osten, während der Bürgersteig bereits im Westteil lag. Die Menschen sprangen mitunter einfach aus ihren Wohnungsfenstern - ein Abwägen zwischen Freiheit und Tod. Genau an diesem historischen Ort, in der Bernauer Straße, wurde an diesem Samstag (13.08.2011) mit einer großen Veranstaltung der zahlreichen Opfer der Mauer gedacht.
Wulff: "Wir verneigen uns vor allen Toten"
Bundespräsident Christian Wulff rief in seiner Rede während der Gedenkveranstaltung dazu auf, weltweit für Demokratie und Menschenrechte einzutreten. "Wir denken an das Leid, das ungezählten Frauen, Männern und Kindern zugefügt wurde - an der Mauer und innerhalb der unmenschlichen Grenzen des SED-Unrechtsstaates", sagte Wulff in Erinnerung an die Maueropfer. Der 13. August 1961 sei ein "verhängnisvoller Tag der deutschen Geschichte". Und es sei ein seltenes Glück, dass "die Geschichte glücklich ausgegangen ist". Die Mauer sei nicht gefallen, "sie wurde umgestürzt". Als künftige Herausforderung mahnte Wulff zugleich, "noch mehr wirkliche Freiheit in unserem wiedervereinigten Land" anzustreben.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit nahmen ebenfalls an den Feierlichkeiten teil. Wowereit bezeichnete es in seiner Rede als "erschreckend", wenn einige Leute heute meinten, die SED habe gute Gründe für die Abriegelung gehabt. Für das "Unrecht und die Toten durch die Mauer und den Stacheldraht" gebe es keine guten Gründe, sagte Wowereit.
136 Menschen starben in 28 Jahren an der Berliner Mauer, bis die deutsche Teilung am 09. November 1989 aufgehoben wurde. Die überwundene Teilung sei ein Grund "zum Stolz für alle Deutschen", sagte Wulff der Tageszeitung "Die Welt" im Vorfeld. Bundesweit waren alle Bürger zu einer Schweigeminute um 12 Uhr (MESZ) aufgerufen. In Berlin läuteten Kirchenglocken, Busse und Bahnen unterbrachen den Betrieb für eine Minute, an vielen Orten wehen die Flaggen ganztags auf Halbmast. Auch in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern finden Gedenkveranstaltungen statt.
Verstorben, aber nicht vergessen
Bereits seit Mitternacht brennt ein Meer aus Kerzen in der Kappelle der Versöhnung an der Bernauer Straße. Dort erinnern Angehörige und Bürgerrechtler an diejenigen, die bei Fluchtversuchen getötet wurden. Sie verlesen Biografien von Mauertoten wie Chris Gueffroy, der direkt am Grenzzaun erschossen wurde oder Winfried Freudenberg, der sich einen Ballon bastelte, um nach West-Berlin zu fliehen und damit abstürzte.
Wowereit (SPD) forderte, die "Gedankenlosigkeit und auch Unkenntnis" über die Teilung Berlins und Deutschlands und den Mauerbau zu überwinden. Nicht nur in diesem besonderen Jahr, sondern grundsätzlich sollte viel mehr in Schulen und auch in Familien darüber aufgeklärt und gesprochen werden. Er habe kein Verständnis für die Relativierung der Schrecken der Mauer. "Die Berliner Mauer bleibt eine Schande", sagte der Regierende Bürgermeister, und das müsse man auch deutlich sagen.
Im Rahmen der Feierlichkeiten wird an der Bernauer Straße auch der zweite Abschnitt einer Mauer-Erinnerungslandschaft auf dem ehemaligen Grenzstreifen eröffnet.
Links- und rechtsextreme Kritik
Zum Jahrestag des Mauerbaus war auch erneut Kritik an der Haltung der Vorsitzenden der Partei DIE LINKE, Gesine Lötzsch, laut geworden. Sie hatte im Vorfeld gesagt, dass die Mauer eine "logische Folge des Zweiten Weltkriegs" gewesen sei. Auch andere Linken-Politiker aus Mecklenburg-Vorpommern schrieben in einem Positionspapier, dass es keine "vernünftige Alternative" dazu gegeben habe. Gemeinsam mit ihrem Ko-Vorsitzenden Klaus Ernst rückte Lötsch dann am Freitag von ihrer Äußerung ab. Auch der Linken-Spitzenkandidat für die kommenden Landtagswahlen in Meckenlenburg-Vorpommern, Helmut Holter, forderte eine klare Distanzierung seiner Partei, dass die Mauer "Unrecht" gewesen sei.
Autorin: Nicole Scherschun (dpa, dapd, afp)
Redaktion: Susanne Eickenfonder