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Zwischen Freude und Ungewissheit

Blanka Baumannova8. Dezember 2002

Viele Tschechen sehen dem EU-Beitritt mit Skepsis entgegen. Die Agrarfrage und die Übergangsfristen bei der Freizügigkeit von Arbeitnehmern sorgen vielerorts für Verstimmung. Noch ist Überzeugungsarbeit nötig.

Der renommierte tschechische Journalist, A.J. Liehm, hat vor einiger Zeit geschrieben, dass die Tschechen zwischen zwei Gefühlen schwanken: zwischen Größenwahn und Minderwertigkeitskomplexen. Zu diesem Schluss kann man kommen, wenn man den Verlauf der Beitrittsverhandlungen der Tschechischen Republik zur Europäischen Union in der Tagespresse verfolgt.

Erst 1996 reichte die Tschechische Republik offiziell die EU-Bewerbung ein. Zwar hatte sich Staatspräsident Vaclav Havel als klarer Befürworter der Mitgliedschaft stets für den Beitritt stark gemacht. Sein Gegenspieler, der Ex-Premier und Euroskeptiker Vaclav Klaus, beherrschte allerdings anfangs die Szene. Seine Ausführungen während des Wirtschaftsforums in Davos verleiteten einen EU-Vertreter zur Feststellung, dass man den Eindruck gewinnen könnte, dass die EU der Tschechischen Republik beitreten möchte und nicht umgekehrt.

Ungelöste Streitfragen


Nicht nur der Ton, sondern auch die Bemühungen um die Erfüllung der Beitrittsbedingungen, haben sich nach der Übernahme der Regierungsverantwortung durch die Sozialdemokraten im Jahre 1998 geändert. Der jetzige Premier Vladimir Spidla ist ein überzeugter Verfechter der Mitgliedschaft des Landes in der Europäischen Union. Trotzdem ist die Grundstimmung in der Tschechischen Republik nicht eindeutig positiv. Dazu haben in der letzten Zeit zwei Streitfragen beigetragen. Zum einen haben die Übergangsfristen für die Freizügigkeit von Arbeitnehmern, die vor allem von Deutschland und Österreich gefordert wurden, viele Tschechen verärgert. Die Behauptung, die Tschechen würden nach einem EU-Beitritt in Scharen nach Westen ziehen, um mehr Geld zu verdienen, sei überzogen.

Zum anderen brach ein Sturm der Empörung bei der Agrarfrage los. Seitdem die Union vor einigen Wochen den leidigen und langen Streit um die künftige Finanzierung des EU-Agrarhaushaltes beigelegt hat, hagelt es aus Prag Proteste. Die tschechischen Bauern fühlen sich ungerecht behandelt und marschierten durch die Straßen der Hauptstadt. Sollten die Beitrittsstaaten nicht sofort in den vollen Genuss der Förderung aus den EU Subventionstöpfen kommen, würde das nach ihrer Meinung nicht nur zu ungleichen Wirtschaftsbedingungen, sondern auch zu sozialem Unfrieden führen.

Offene Kapitel

Das umstrittene tschechische Kernkraftwerk TemelinBild: AP

Die Tschechische Republik bereitet sich sonst zügig auf die Mitgliedschaft vor. 26 von insgesamt 30 Verhandlungskapiteln wurden bereits erfolgreich abgeschlossen. Die Reformen der Staatsverwaltung, der Finanzen, des Verkehrs von Gütern und Personen und der Landwirtschaft lassen allerdings noch auf sich warten. Auch die Korruption und die Wirtschaftskriminalität werden in der Tschechischen Republik als "besorgniserregend" eingestuft. Außerdem muss die Integration der Roma verbessert werden. In Zukunft werden wohl auch wieder die Diskussionen um die Sicherheit im Atomkraftwerk Temelin und die Benes-Dekrete über die Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg aufflammen. Die EU-Kommission hat allerdings im Oktober festgestellt, dass diese Dekrete kein Hindernis für den Beitritt seien.

Ungewisser Ausgang der Volksbefragung

Im Juni 2003 werden die Tschechen in einem Referendum über den geplanten Beitritt abstimmen. Wenn bei der Volksbefragung mindestens 50 Prozent der Teilnehmer für einen Beitritt stimmen, kann das Land Mitglied werden. Umfragen zufolge sind derzeit etwa 44 Prozent der Tschechen dafür, rund 18 Prozent dagegen. Es bleibt also noch Ungewissheit. Bei einer Diskussion im Europäischen Parlament fasste der Präsident des tschechischen Parlaments, Lubos Zaoralek, die Stimmung in seinem Land zusammen: "Wir schwanken zwischen Freude und Ungewissheit."

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