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Das Leben neben Himalayas schmelzenden Gletschern

Catherine Davison
15. November 2019

Im Norden Indiens fällt immer weniger Schnee und die Gletscher schmelzen. Das wirkt sich auf das Leben der Menschen aus. Die DW hat dort einige Dörfer besucht, um herauszufinden, was der Klimawandel für sie bedeutet.

Eine Frau in der Spiti Region, im Himalaya in Indien
Bild: DW/Catherine Davison

Tashi Yudon späht durch einen Vorhang auf die Dächer unter ihr. Sie seufzt. Ihr Atem gefriert an der Fensterscheibe. 700 Kilometer entfernt, in der Hauptstadt Delhi, fallen die Temperaturen jetzt gerade mal unter die 25 Grad Celsius. In Spiti aber sind alle gespannt auf den Winter. Er hält gerade Einzug im Tal.

"In diesem Monat wird der Schnee kommen" sagt die 27-jährige Lehrerin. Sie wickelt den Schal enger um sich. "Ich hoffe es", schiebt sie hinterher.

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Ihr Heimatdorf Chichim ist eines der höchsten Dörfer im Spiti-Tal. Es liegt mitten im Himalaya-Gebirge auf mehr als 4000 Meter über dem Meeresspiegel. Schnee bedeutet hier mehr als nur der Beginn einer neuen Jahreszeit. Schnee ist überlebenswichtig für das Dorf.

Tashi Yudon, 27Jahre, mit ihrer Mutter Sonam Lakit, 50 Jahre, in ihrem Haus im Dorf ChichimBild: DW/Catherine Davison

"Dort aus den Bergen kommt unser Wasser", erklärt Yudon. Sie zeigt auf einen schneebedeckten Gipfel in der Ferne. Das ganze Tal liegt im Regenschatten. Das bedeutet, wenn der Monsun anderen Regionen Regen bringt, ist das Tal durch den umliegenden Himalaya geschützt. Hier regnet es also kaum.

Dörfer wie Chichim sind abhängig von der Eisschmelze. Jeden Sommer tropft das Wasser von den Gletschern. Dieses Schmelzwasser ist die Wasserquelle der Dörfer. Im Winter, wenn es schneit, wird dieser Vorrat in den Bergen wieder aufgefüllt.

In den vergangenen Jahrzehnten jedoch sind die Schneefälle drastisch zurückgegangen. Um acht Milliarden Tonnen Eis schmelzen die Gletscher im Himalaya jedes Jahr ab. "Das Eis in den Bergen wird immer weniger und die Sommer werden immer länger", sagt Yudon und runzelt die Stirn. Ihre Mutter nickt. Dann fügt sie hinzu: "Es gibt immer weniger Wasser."

Während die Landwirtschaft immer weniger einbringt, wird der Tourismus mehr und mehr zur EinkommensquelleBild: DW/Catherine Davison

Weiter unten im Tal in Pangmo wohnt Tashi Tandup. Der 67-jährige hat sein ganzes Leben im Dorf verbracht. Er ist besorgt. "Jedes Jahr wird der Schnee in den Bergen weniger." Er fügt hinzu: "Wir hatten hier immer zu wenig Wasser, aber dafür gab es stets reichlich Schnee. Wir haben Schnee aus den Bergen geholt. Das Wasser haben wir dann getrunken." Im vergangenen  Winter hatte es überhaupt nicht geschneit. Das Dorf hatte kein Wasser mehr.

Abnehmende Niederschläge und schmelzende Gletscher betreffen die gesamte Hindukusch-Himalaya-Region. Kürzlich hat der Weltklimarat (IPCC) einen Bericht dazu veröffentlicht. Darin gehen die Experten davon aus, dass in niedrigeren Gebirgsregionen wie dem Spiti-Tal, "die Gletscher bis zum Jahr 2100 mehr als 80 Prozent ihrer Masse verlieren werden".

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Der Bericht bestätigt damit die Ergebnisse einer früheren Studie. Darin heißt es, dass selbst wenn man es schafft, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen – ein Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen – werden die Auswirkungen auf die östliche Himalaya-Region verheerend sein. In den schlimmsten Szenarien wird bis dahin mit einem fast vollständigen Verlust der Gletscher gerechnet.

Yangchen Dolma, 57 Jahre, muss das Wasser mit Kanistern von der Dorfpumpe holen Bild: DW/Catherine Davison
Butith Dolma fürchtet, dass das Leben im Dorf noch schwerer werden wird Bild: DW/Catherine Davison

Der rasche Rückgang der Gletscher hat einen direkten Einfluss auf zehn der wichtigsten Flusssysteme der Welt. Die haben ihren Ursprung hier in der Region. Das Überschwemmungsrisiko im Sommer würde steigen und schließlich zu Dürren führen, wenn das Eis verschwindet. Davon wären fast 2 Milliarden Menschen, die flussabwärts leben, betroffen.

Der Weltklima-Bericht geht außerdem davon aus, dass beim Abschmelzen des Eises Ruß-Schadstoffe, die sich jahrzehntelang auf den Gipfeln abgelagert haben, freigesetzt werden würden. Das könnte das Wasser aus den Bergen stark verschmutzen.

In den niedrigeren Regionen des Himalaya, wie in Spiti, sind die Gletscher nicht so hoch. Dass sie nun kleiner werden, spüren die Menschen in den Dörfern deutlich. 

Als Butith Dolma vor acht Jahren geheiratet hat, ist sie in das Dorf Demul gezogen. "Allein in den acht Jahren gab es zwei Dürren", erzählt sie. „Wir hatten einfach kein Wasser mehr. Die Pflanzen konnten nicht wachsen."

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Wenn sich die Situation mit dem Wasser weiter verschlechtert, wird es hier kaum mehr auszuhalten sein, befürchtet die 27- jährige Mutter von zwei Kindern. "Wir können eine Wasserknappheit ein Jahr lang irgendwie überstehen. Aber wenn das jetzt regelmäßig passiert, werden wir von hier weggehen müssen", sagt sie.

Tashi Tandup und seine Ehefrau Kalzang Angmo haben zusammen acht Kinder. Die Zukunft der nächste Generation ist ungewissBild: DW/Catherine Davison

Im nahegelegenen Ladakh haben bereits ganze Dörfer wegen des Wassermangels die Region verlassen. So mussten die Bewohner von Kumik in Zanskar 2014 umsiedeln. Der Fluss, von dessen Wasser sie lebten, war ausgetrocknet.

"Die Menschen hier leben von der Landwirtschaft. Und die braucht Wasser", erklärt Ishita Khanna, Mitbegründerin der in Spiti ansässigen Nichtregierungsorganisation Ecosphere. "Wenn das so weitergeht, werden auch hier ganze Dörfer wegziehen."

Ecosphere bemüht sich, die Auswirkungen des Klimawandels zu mildern. Die Idee: Traditionelle Methoden werden mit moderner Technologie kombiniert. So werden Solarpumpen eingesetzt, um das Flusswasser heraufpumpen zu können, wenn die Reserven aus den Bergen ausgetrocknet sind.

In Demul haben sie mit Staudämmen und künstlichen Gletschern experimentiert, um Wasser einzufrieren, bevor es abfließen kann. "Wir können nicht beeinflussen, wie viel Schnee fällt", sagt Ishita. "Aber wir können versuchen, so viel Schnee oder Wasser wie möglich vom Ablaufen abzuhalten."

Durch den Wassermangel gibt es immer weniger Vegetation. Den Dorfbewohnern fällt es dadurch immer schwerer, ihr Vieh zu füttern Bild: DW/Catherine Davison

Aber das Heraufpumpen des Flusswassers und das Verhindern des Ablaufens sind keine nachhaltigen Lösungen, räumt Ishita ein. Schließlich werde die Wasserversorgung vollständig zusammenbrechen, wenn es nicht genug Schnee gäbe.

Eine Tatsache, die Tandup ständig beschäftigt. Er sitzt in seinem Haus im Dorf Pangmo. Ecosphere hat hier eine solarbetriebene Pumpe installiert. 

"Wenn wir nur vom Fluss Spiti abhängig wären, dann könnten wir eine Pumpe bauen, und alles wäre gut", sagt er. "Aber wenn es so wie jetzt auf Kunzum [dem nahe gelegenen Berg] immer weniger schneit, werden die Flüsse irgendwann aufhören zu fließen. Und dann werden wir ein richtiges Problem haben."

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Der alte Mann erzählt, dass er von zwei oder drei jungen Familien weiß, die das Tal bereits verlassen haben. "Weil es immer weniger Wasser gibt, sind sie nach Manali gezogen". Er aber hat, so wie die meisten Familien hier, kein Geld um einfach wegzuziehen. "All unser Land und unser Vieh sind hier", sagt er. "Woanders haben wir kein Land."

Yudon wendet ihren Blick ab vom Fenster, ab von den schneelosen Bergen dort draußen. Sie sieht das genauso. "Das hier ist unser Land, unser Zuhause", sagt sie und deutet auf die verstreuten quadratischen Häuser. "Wir werden hier in Chichim bleiben. Auch ohne Wasser. Eine andere Lösung gibt es nicht", sagt sie.

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