Frauen an der Heimatfront
12. August 2014Ein Ehepaar nimmt Abschied voneinander auf diesem deutschen Propagandaplakat aus dem Ersten Weltkrieg. Beide schauen wehmütig in die Ferne, in die der Mann jetzt aufbrechen muss. Er trägt eine deutsche Felduniform, bald wird er an der Front kämpfen müssen. Seine Frau legt ihm ihren linken Arm vertraut auf die Schulter. Doch mit der anderen Hand gibt sie ihm etwas anderes mit auf den Weg als eine letzte Berührung: Sie legt eine Handgranate in seine Hand, zusätzlich zu den vielen anderen, die der Soldat bereits in seinem Gürtel trägt. "Deutsche Frauen arbeitet im Heimatheer!", steht neben dieser Szene.
Frauen ersetzen die Männer
Die Botschaft dieses Propagandaplakats ist klar: Frauen müssen durch ihre Arbeit in den Munitions- und Waffenfabriken dafür sorgen, dass ihre Männer an der weit entfernten Front über Waffen verfügen. Aber nicht nur in der Rüstungsindustrie mussten plötzlich Frauen die vielen Männern ersetzen, die seit August 1914 an den Fronten kämpften und starben.
Frauen trugen nun die Post aus, schufteten in den Fabriken, fuhren Lastwagen und Straßenbahnen, säten auf den Feldern aus und brachten die Ernte ein. Der Einsatz von Frauen war seitens der Politik und des Militärs erwünscht und notwendig – nur so konnte die Heimatfront die Versorgung mit Kriegsgerät und Nahrungsmitteln sicherstellen. Plötzlich durften und sollten Frauen in den kriegsführenden Nationen also Berufe ausüben, die zuvor in der Gesellschaft nur Männern vorbehalten waren.
Schuften in der Schwerindustrie
Auch harte Arbeiten in der Industrie waren seit Ausbruch des Krieges Frauen überlassen – im Deutschen Reich wuchs der Anteil an arbeitenden Frauen bis 1918 um zwölf Prozent. Seitens der männlichen Arbeiter war der Einsatz von Frauen in den Industriebetrieben äußerst unbeliebt. "Keine Nacht ohne Zusammenbruch einer oder mehrerer Frauen an den Maschinen", klagte ein deutscher Arbeiter. Männliche Vorurteile gegenüber weiblichen Beschäftigten mischen sich in diesem Urteil mit der Angst der Männer, als "starkes Geschlecht" nur noch für die körperlich anstrengenden Arbeiten eingeteilt zu werden. Die Anstrengungen der staatlichen Propaganda, Frauen für die Arbeit in der Industrie zu mobilisieren, blieben in Deutschland weit hinter den Erwartungen von Politik und Militär zurück.
Kein Ausbruch aus Rollenklischees
Frauen wurden nicht nur schlechter bezahlt als Männer, sie besaßen zudem meist auch keine Ausbildung als Facharbeiter. Ihre gleichzeitige Verantwortung für Kinder und Haushalt machten eine derartige Beschäftigung für sie unattraktiv und wenig lukrativ. Ironischerweise trug so gerade der Kriegsausbruch mit seinen Propagandaparolen dazu bei, dass die traditionellen Rollenbilder im Verhältnis zwischen Mann und Frau, sich wieder verfestigten. Hatten sich die Geschlechterbeziehungen vor dem Krieg bereits langsam verändert, war der Mann nun wieder der "Mann", ein Krieger, ein Held, der in seiner männlichen Rolle als Versorger seiner Familie nur durch seine Aufgabe als Soldat abgehalten wurde. Die arbeitende Frau galt als Ausnahme in Zeiten der Not: Wenn der Krieg vorbei wäre und die Männer zurückkommen, so die gesellschaftliche Meinung, hätten die Frauen wieder ihre angestammte Rolle als Hausfrau und Mutter zu übernehmen.
Die Frauenbewegung, die sich seit langem für eine Gleichberechtigung einsetzte, schloss sich der Burgfriedenspolitik in Deutschland an. Demnach sollten innenpolitische Konflikte ruhen, bis der Krieg gewonnen wäre. Viele der in der Frauenbewegung engagierten Aktivistinnen sahen im Krieg die Gelegenheit, die Leistungsfähigkeit der Frau zu beweisen – um auf diesem Wege auch mehr Gleichberechtigung zu erreichen. Nur wenige Frauen, wie die SPD-Politikerin Clara Zetkin, lehnten den Krieg radikal ab.
Die Frau als "Gebärerin" und Pflegerin
Die Propaganda gedachte den Frauen in Kriegszeiten zusätzlich zu ihrem erzwungenen Fabrikeinsatz auch eine angeblich typisch "frauliche" Aufgabe zu: Als Krankenschwester, die sich der Verwundeten in den Lazaretten und Krankenhäusern annehmen sollte. Immer wieder zeigten Propagandabilder sanfte Schwestern, die sich für die Bedürftigen aufopferten. Und schließlich sorgten sich Politik und Militär um die seit Kriegsbeginn sinkenden Geburtenraten – bei zugleich katastrophalen Verlustzahlen an der Front. Als "Gebärerinnen" waren die Frauen aufgerufen, die Verluste durch möglichst viele Geburten zu ersetzen – und ihren Männern treu und loyal zu sein.
Die Propaganda nutzte den Einsatz der Frauen in der Heimat darüber hinaus auch zur Mobilisierung der Soldaten an der Front. Ein französisches Propagandafoto zeigt eine Szene purer körperlicher Anstrengung: An Ketten und Seilen ziehen drei Frauen unter größter Mühe einen Pflug über den Acker, um die Saat für die nächste Ernte säen zu können. Sie besitzen weder Zugtier noch Zugmaschine, um ihre schwere Arbeit zu erleichtern – nur mit ihrem Willen bestellen sie das Feld, um das Land mit Getreide versorgen zu können. "Die Frauen Frankreichs tragen die Bürde", heißt es dazu.
"Es muß Frieden gemacht werden"
Genug von der Bürde des Krieges hatten hingegen einige Hamburger Frauen im Jahr 1916. Eindringlich ersuchten sie den Senat der Stadt: "Wir wollen unsere Männer und Söhne aus dem Krieg wieder haben und wollen nicht länger noch hungern — es muß Frieden gemacht werden" Doch der Appell verhallte ungehört – noch weitere zwei Jahre sollte der Krieg toben, in denen Frauen in allen beteiligten Ländern an der sogenannten "Heimatfront" ungeheure Opfer brachten. Und das, obwohl Frauen noch nicht einmal die gleichen Rechte wie ihre Männer genossen. Erst 1918 erhielten sie in Deutschland das Recht zu wählen, in Großbritannien 1928 und in Frankreich 1944.