Zwischen Kampf und Kompromiss
28. Januar 2007Womöglich war die neue Staatlichkeit Afghanistans schon in jenem Dezember 2001 zum Scheitern verurteilt: Wenige Jahre zuvor unterstützten insbesondere die Amerikaner noch Feinde Afghanistans, da wurde nach dem Sturz der Taliban mit Abdul Hamid Karzai ein pro-USA eingestellter Präsident für eine Übergangsregierung gestellt.
Dass diese Regierung das Versprechen von Frieden und Freiheit nicht halten kann, ist inzwischen bekannt. Während aber vor allem die Vereinigten Staaten an dieser für sie günstigen Regierung festhalten, zerbrechen sich Experten aus aller Welt den Kopf, wie in Afghanistan nicht nur in der Theorie Ordnung einkehren kann.
Das Volk muss gehört werden
“Wenn es keine Einmischung von außen gegeben hätte, wäre es durchaus möglich gewesen, dass die Afghanen ihre Probleme hätten selbst lösen können“, so Matin Baraki von der Phillips-Universität Marburg, im Interview mit rootcauses.de.
Die Afghanen seien seit jeher ein Vielvölkerstaat gewesen, der seine Probleme durch die Tradition der Dschirga (Stammesversammlung) sowie der Loja Dschirga (große Versammlung oder Rat) gelöst hat.
“Man müsste versuchen eine Loja Dschirga nicht unter amerikanischem Kommando abzuhalten, sondern Bedingungen zu schaffen für eine demokratische Loja Dschirga. Dass also nicht Warlords durch Gewalt oder mit Stimmenkauf dorthin kommen, sondern tatsächlich die Menschen ihre Vertreter frei wählen können“.
Der Politikwissenschaftler ist überzeugt, dass dieses Ergebnis das “hundertprozentige Gegenteil“ von dem sein wird, was auf der letzten Loja Dschirga beschlossen wurde. Dies sei der Weg, der zu “dauerhaftem und nachhaltigem Frieden in Afghanistan führen wird“ und spricht sich ferner gegen eine Besatzung internationaler Soldaten aus. “Damit wäre auch den Islamisten der Wind aus den Segeln genommen, denn Afghanistan wäre dann nicht von 'ungläubigen Christen' und dem 'großen Satan' besetzt“, sagt Baraki.
Keine rein militärische Lösung
Während die USA und die NATO zwar auf Verstärkung ihrer Truppen hoffen, sieht selbst NATO-General James Jones in Afghanistan keine rein militärische Lösungsmöglichkeit: “Wir alle müssen einen Wandel in der Gesellschaft herbeiführen, damit Afghanistan als Rechtsstaat in die internationale Gemeinschaft eintreten kann“.
Diese Meinung teilt der amerikanische Botschafter in Kabul, Ronald Neumann im “Spiegel“: “Die Afghanen müssen davon überzeugt sein, dass sie nachts in ihren Häusern überleben können. Wir gewinnen ihr Herz und Hirn nicht, wenn sie fürchten müssen, dass jemand diese Organe mit Kugeln durchsiebt.“ Neumann weist darauf hin, dass die großen Kampfoperationen zwar weitergehen müssen, doch haben parallel dazu die internationalen Staaten die Aufgabe, Sicherheit vor Ort zu gewährleisten. Dabei spricht er besonders von Entwicklungsprojekten, um Geld für den Aufbau afghanischer Streitkräfte und Polizei zu investieren. Sollte sich die internationale Gemeinschaft aber zurückziehen, wird Afghanistan wieder in die Hände der Taliban fallen.
Entwicklungsprojekte – Von klein auf beginnen
Ebenso notwendig wären Entwicklungsprojekte im Bereich der Infrastruktur vermehrt zu fördern. Laut Neumann weigere sich der Westen, große Projekte dieser Art zu finanzieren, obwohl diese besonders ländliche Wirtschaftsentwicklung erst ermöglichen: “Die Bauern schaffen es nicht, ihre Produkte zu den Märkten zu bekommen. Wir brauchen Straßen, wir brauchen Elektrizität, wir brauchen verarbeitende Industrie“. Von einer funktionierenden Wirtschaft ist in Afghanistan somit längst keine Rede. Dabei gibt es laut Baraki ein attraktives Investitionsgesetz: “Ausländische Unternehmen können 100 Prozent ihrer Profite, die sie im Land machen, in ihre Heimatländer transferieren, und für mehrere Jahre brauchen sie überhaupt keine Steuern zu bezahlen“. Hilfreiche internationale Investoren schreckt neben dem Mangel an Sicherheit, Rechtsgrundlage und fähigem Personal aber eben auch die mangelnde Infrastruktur ab. Afghanistan scheint dem Teufelskreis nicht entkommen zu können.
Stefan Herber, Studiengang Online-Journalismus, Hochschule Darmstadt