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PolitikEuropa

Zwischen Orthodoxie und Sowjet-Nostalgie

22. April 2022

Die Regierung in Athen verurteilt Putins Angriff auf die Ukraine - aber die griechische Bevölkerung bleibt gespalten in ihrer Haltung zu Moskau. Linke motiviert Sowjet-Nostalgie, Konservative der gemeinsame Glaube.

Griechenland | Besuch Wladimir Putin Berg Athos
Russlands Präsident Wladimir Putin mit orthodoxen Mönchen auf dem Berg Athos im Mai 2016Bild: AFP/Getty Images

Maria kann noch immer nicht fassen, dass Russlands Präsident Wladimir Putin die Ukraine überfallen hat. Die 29-jährige Moskauerin, die ihren richtigen Name nicht öffentlich machen will, lebt seit drei Jahren in der nordgriechischen Metropole Thessaloniki. Die Jurastudentin ist mit einem Griechen verheiratet und offiziell in Griechenland gemeldet - wie rund 15.000 weitere Russinnen und Russen.

Die Verbindung zwischen den beiden mehrheitlich christlich-orthodoxen Ländern ist traditionell eng. Griechisch hatte Maria bereits auf der Universität in Russland gelernt - ohne konkrete Pläne, nach Griechenland auszuwandern. Eigentlich ist sie nicht besonders gläubig, fühlt sich aber als orthodoxe Christin in Griechenland doch weniger fremd als in anderen Teilen Europas: "Die Religion verbindet uns, auch kulturell", sagt Maria der DW. "Ich bin viel gereist und weiß daher, dass man sich anpassen muss, wenn man im Ausland leben will. Aber hier musste ich kaum etwas verändern."

Eine orthodoxe Kirche in einem Wohngebiet in ThessalonikiBild: Florian Schmitz/DW

Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine am 24. Februar 2022 habe sich die wirtschaftliche Lage auch in Russland verschlimmert, erzählt Maria: "In Moskau schließen Geschäfte. Es gibt nicht genug Medikamente und es fehlt inzwischen auch an vielen anderen Ecken." Im Rest des Landes sei das ganz normal, "vielleicht freut man sich dort sogar darüber, dass die Versorgungslage jetzt auch in den großen Städten problematisch wird." Viele ihrer Verwandten und Freunde hätten das Land verlassen, ihr Vater sei über die finnische Grenze, die Mutter über Weißrussland nach Litauen gereist.

Für Maria steht fest: Wenn es um den Machterhalt geht, kennt Putin keine Grenzen. Auch deswegen sieht sie für sich in ihrer Heimat keine Perspektive mehr. Das propagandistische Mediensystem und die immer härteren staatlichen Maßnahmen gegen Andersdenkende hätten ihre letzte Hoffnung auf Besserung zerstört, sagt sie. Dass viele Menschen in Griechenland Probleme damit haben, Moskau für den Krieg gegen die Ukraine zu verurteilen, kann sie nicht begreifen: "Neulich hat ein Grieche gesagt, in Russland sei alles gut. Da habe ich widersprochen und ihm erklärt, wie die Lage wirklich ist. Das wollte er mit aber nicht glauben."

Griechen gegen Athen

Athens Premierminister Kyriakos Mitsotakis folgt dem Kurs der EU, Kiew im Kampf gegen Moskau zu unterstützen. Griechenland hat bereits Waffen an die Ukraine geliefert. Doch aktuelle Meinungsumfragen zeigen: Über die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger unterstützen die Politik ihrer Regierung nicht. Während Flüchtende aus der Ukraine in Griechenland mit offenen Armen empfangen werden, lehnen viele Griechinnen und Griechen die EU-Maßnahmen gegen Russland ab. Über 60 Prozent sprechen sich laut einer Umfrage explizit gegen Waffenlieferungen aus - und sehen die Verantwortung für den Krieg sowohl in Moskau als auch in Kiew.

Der damalige griechische Oppositionsführer Mitsotakis mit Russlands Präsident Putin in Athen im Mai 2016 Bild: picture-alliance/Russian Look

Einer der Gründe für diese ambivalente Haltung ist, dass Griechenlands Konservative in Russland traditionell einen Verbündeten sehen. 2019, fünf Jahre nach der Annexion der Krim, war der damalige Oppositionsführer Mitsotakis nach Moskau gereist. Dort sprach er von einem "Vertrauensverhältnis" zwischen seiner Partei Nea Demokratia und Putins Partei Einiges Russland - und versicherte, dass Russland in Griechenland immer einen "vertrauenswürdigen Gesprächspartner" finden würde.

Brüder im Glauben?

Die Russland-Sympathie vieler Griechen basiere vor allem auf dem gemeinsamen orthodoxen Glauben, meint Politikwissenschaftler Athanasios Grammenos: "Russland stellte sich jahrhundertelang als Schutzmacht der orthodoxen Christen im Osmanischen Reich dar." Zwar habe Moskau nie aktiv geholfen - doch der Mythos des großen Retters im Osten sei stark in der griechischen Kultur verankert: "Viele Rechte, darunter auch Mitglieder der Regierungspartei, glauben immer noch, dass Russland irgendwann Konstantinopel befreien, es an Griechenland zurückgeben und so den Traum eines neuen Byzantinischen Reichs erfüllen wird."

Der Politikwissenschaftler Athanasios GrammenosBild: Privat

Auch in anderen Balkanländern könne man beobachten, wie Russland versucht, über den orthodoxen Glauben Einfluss zu gewinnen. Besonders deutlich sei das in Nordmazedonien oder Serbien, wo die Haltung der Menschen zur Europäischen Union gespalten sei. "Dort verbreitet Russland die alte Idee des orthodoxen Staatenbundes."

Das sei in Griechenland schwieriger. So habe die griechisch-orthodoxe Kirche die autokephale Kirche der Ukraine bereits 2019 anerkannt - und damit klar gegen den Willen der Führung der russisch-orthodoxen Kirche gehandelt. Aber was in den Sonntagsgottesdiensten im Land gepredigt würde, sei eine andere Sache: "Die Kirche in Griechenland ist eine Reflexion der Gesellschaft. Es gibt auch viele Priester, die Verschwörungstheorien verfallen sind. Und die haben Einfluss auf viele Gläubige", so Grammenos.

Vertrauen in Russland schwindet

Stavros Tzimas kennt die Sympathien seiner Landsleute genau. In Griechenland gilt der Journalist als Experte für den Balkan, Russland und die orthodoxe Kirche. Wenn es um Moskau geht, liebäugele die griechische Linke noch immer mit Sowjet-Nostalgie - und die Konservativen mit dem orthodoxen Glauben, unterstreicht er. Derart romantische Gefühle erklärten aber nur teilweise, warum die griechische Bevölkerung Moskaus Krieg in der Ukraine nur so zögerlich verurteilt - oder gar nicht.

Der griechische Journalist Stavros Tzimas ist Experte für den Balkan, Russland und die orthodoxe KircheBild: Florian Schmitz/DW

"Ich habe den Eindruck, ein Großteil der Griechen befürchtet, dass eine Unterstützung der Sanktionen gegen Russland unserem Land schaden wird", so  Tzimas gegenüber der DW. Auch in Griechenland seien die Preise für bestimmte Produkte sowie Strom und Gas stark gestiegen. "Man hat Angst, dass man die Maßnahmen gegen Moskau im eigenen Geldbeutel spürt."

Politisch gesehen befänden sich Griechenlands Beziehungen zu Russland aber schon lange auf einer Talfahrt. Dabei würden aber vor allem politische Uneinigkeiten die entscheidende Rolle spielen, etwa hinsichtlich der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim 2014 oder auch des Prespa-Abkommens, mit dem Griechenland und Nordmazedonien 2018 ihren langjährigen Namensstreit beigelegt hatten. Damals war es zum Eklat gekommen, als Athen russische Agenten ausweisen ließ, die versucht hatten, gegen das Abkommen zu lobbyieren.