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Zwischen Politik und Unterhaltung

Andreas Brenner 18. Mai 2013

Malmö ist zurzeit Treffpunkt für Schlagersternchen und Popgruppen aus ganz Europa. Zum 58. Mal messen sie sich im "Eurovision Song Contest" (ESC). Eigentlich pure Unterhaltung, doch auch die Politik spielt eine Rolle.

Die deutsche Sängerin Katja Ebstein (vorn) singt am 22.3.1970 beim 15. Grand Prix d'Eurovision de la Chanson in Amsterdam ihr Lied von Christian Bruhn und Günther Loose "Wunder gibt es immer wieder", mit dem sie den dritten Platz belegte.
Bild: picture-alliance/dpa

Die Regeln des Europäischen Song Contests (ESC) sind deutlich: "Texte, Ansprachen und Gesten politischer Natur sind während des Contests untersagt", heißt es da Schwarz auf Weiß. Aber allein die Idee, einen Musikwettbewerb zu veranstalten, der anfangs noch "Grand Prix Eurovision de la Chanson Européenne" hieß, hatte ursprünglich auch politische Hintergründe.

Teilnehmer aus sieben Ländern kamen 1956 zum ersten ESC nach Lugano in die Schweiz. Dass die Rundfunkanstalten aus Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, den Niederlanden, Luxemburg, Italien, Frankreich und der Schweiz gemeinsam einen Fernsehwettbewerb auf die Bühne brachten, war auch ein Symbol für die Normalisierung ihrer Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg.

Frieden ja, Putin nein

Deutschland gewann den Wettbewerb 1982 zum ersten Mal. Auf dem Höhepunkt der Friedensbewegung sang Nicole über "Ein bisschen Frieden". Lieder über Liebe, Frieden und Freundschaft sind beim ESC durchaus willkommen, allerdings dürfen andere Länder nicht brüskiert werden. So sah das 2009 auch die European Broadcasting Union (EBU), unter deren Federführung der ESC stattfindet. Damals wollte Georgien mit dem Lied "We Don't Wanna Put In" in Moskau antreten.

Die EBU sagte "Njet", nein. Zu deutlich war weniger als ein Jahr nach dem russisch-georgischen Krieg das Wortspiel erkennbar, dass die Georgier "Putin nicht wollen".

Travestiekünstler Verka Serdyuchka landete auf dem russischen IndexBild: imago/ITAR-TASS

Auch zwei Jahre zuvor fühlte sich Moskau offensichtlich in seinen imperialen Ansprüchen gekränkt. Damals glaubten die Verantwortlichen beim russischen Fernsehen im Fantasietext des ukrainischen Travestiekünstlers Andrej Danilko alias Verka Serdjutschka die Wörter "Russia goodbye" gehört zu haben. Ab sofort verschwand "Verka", die vorher in "Putins Reich" beinahe jeden Tag in der einen oder anderen TV-Sendung zu sehen war, von allen russischen Mattscheiben.

In diesem Jahr sorgte das mazedonische Duo Esma & Vlatko für Aufregung. Imperialistisches Imponiergehabe und politische Machtansprüche gegenüber den Nachbarländern glaubten Kritiker im Videoclip zu erkennen. Noch bevor es Proteste aus Griechenland und Bulgarien hageln konnte, tauschte der zuständige Sender in Skopje den umstrittenen Beitrag "Imperija" ("Imperium") gegen das harmlose "Pred Da Se Razdeni" ("Vor dem Morgengrauen") aus. Angeblich hatte das Publikum so entschieden.

Esma genießt in ihrer Heimat KultstatusBild: DW/A. Brenner

Keine Schwulenparade in Moskau

Mit den Vertretern sexueller Minderheiten hatte 1998 nicht nur Russland seine Probleme. Als bekannt wurde, dass die transsexuelle Sängerin Dana für Israel antreten sollte, gab es in ihrem Heimatland einen Aufschrei der Konservativen. Umso mehr feierte die LGBT-Gemeinde der Lesben, Schwule, Bisexuellen und Transgender in Israel und Europa ihren Sieg.

Homosexuellen wird eine besondere Vorliebe für den Europäischen Song Contest nachgesagt. Nicht zuletzt deswegen wollten russische Schwule 2009 in Moskau am Tag des Finales eine Gay-Parade durchführen, doch sie wurden von der Polizei vertrieben. Der Wettbewerb in der russischen Hauptstadt entwickelte sich zu einem der gigantischsten und teuersten Events in der ESC-Geschichte. Für die Regierung in Moskau war es eine Frage der Ehre, eine bombastische Show auf die Beine zu stellen.

Viele Homosexuelle lieben den Song Contest - in Baku gab es 2012 keine ProblemeBild: DW

ESC und Autokraten

Der damalige Ministerpräsident Wladimir Putin erschien persönlich zu den Proben. Auf der Bühne übte gerade das Duo aus Aserbaidschan. Dort mutierte der ESC drei Jahre später zu einer Angelegenheit der Präsidentenfamilie: Die First Lady Mehriban Aliyeva präsentierte sich als Leiterin des Organisationskomitees, und der Schwiegersohn des Staatsoberhaupts trat während der Pause im Finale als Sänger auf die Bühne.

Einige Wochen vor dem Wettbewerb in Baku brandete in den europäischen Medien eine heiße Diskussion darüber auf, ob man eine Unterhaltungsshow in einem Land veranstalten sollte, in dem Menschenrechte mit Füssen getreten werden. Eine kurze Zeit schaute Europa genau hin, was in diesem durch Öl reich gewordenen Staat am Kaspischen Meer wirklich passiert. Geändert hat sich seitdem kaum etwas in Aserbaidschan. Aber plötzlich hatten die einheimischen Menschenrechtler, oppositionelle Politiker und unabhängige Journalisten die Möglichkeit, ihre Position vor der europäischen Presse zu vertreten.

Sprachenstreit und Lena-Mania

Angesichts solcher Diskussionen ist der Sprachenstreit, der ab und zu in Frankreich aufflammt, eher kleinkariert. Der Tausch eines schwierig anmutenden französischen Titels im Wettbewerb gegen eine einfachere englische Variante war ein Schlag ins Gesicht der Grande Nation. Frankreich schaut genau hin, dass Französisch eine der offiziellen Sprache des ESC bleibt. Dass Sebastien Tellier sein Lied beim Song Contest 2008 in Belgrad auf Englisch sang, sorgte bei französischen Nationalisten für helle Aufregung.

Der Franzose Sebastien Tellier verärgerte viele Landsleute, weil er auf Englisch sangBild: Getty Images

Auch deutschen Politikern ist der Eurovision Song Contest nicht ganz fremd. Der damalige niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff höchstpersönlich begrüßte Lena Meyer-Landrut auf dem Flughafen von Hannover, als sie als strahlende ESC-Siegerin aus Oslo – der Stadt ihres Triumphs - zurück in die Heimat einschwebte. Wer weiß, wie lange die Lena-Mania und der deutsche Sieg beim ESC die Medien im Land beschäftigt hätten, wenn nicht einen Tag später Horst Köhler vom Amt des Bundespräsidenten zurückgetreten wäre.