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Zwischen Provokation und Diplomatie

Nastassja Shtrauchler21. Oktober 2015

Der Deutschland-Besuch von Benjamin Netanjahu wird nicht nur von der Krise in Nahost überschattet. Der israelische Regierungschef sorgte selbst noch für einen handfesten Skandal.

Benjamin Netanjahu Kabinett (Foto: EPA/RONEN ZVULUN/POOL)
Bild: picture-alliance/dpa/Ronen Zvulun/Pool

Als Politiker hat man es vermutlich nicht leicht. Will man seine Zuhörer fesseln, kann man ihnen nicht immer wieder dieselbe Geschichte erzählen und muss sich manchmal etwas Neues einfallen lassen. So wie Benjamin Netanjahu es am Dienstag tat. Der israelische Premierminister trat beim Internationalen Zionistenkongress in Jerusalem als Redner auf und fesselte nicht nur, er schockierte sein Publikum. Es sei nicht Adolf Hitler gewesen, der die Juden hatte vernichten wollen, so Netanjahu, sondern der palästinensische Mufti von Jerusalem, Amin al-Husseini. Hitler habe die Juden nur vertreiben wollen. Erst der Mufti habe ihn 1941 dazu angestiftet, sie systematisch auszulöschen, erklärte der israelische Regierungschef.

"Natürliche Freunde Deutschlands": Adolf Hitler und der Großmufti von Jerusalem, al-Husseini 1941Bild: picture-alliance/dpa/akg-images

Auch wenn Netanjahu nicht als Diplomat bekannt ist, so sorgte er mit dieser Aussage doch für breite Irritation. Oppositionspolitiker aller Parteien warfen ihm Geschichtsverdrehung vor und Hetze gegen Palästinenser. Ayman Odeh, Anführer des Parteienbündnisses "Vereinigte Arabische Liste" sagte in der israelischen Tageszeitung "Haaretz", um seine desaströse Politik zu rechtfertigen, schrecke Netanjahu noch nicht einmal davor zurück, die Millionen Opfer der Nazi-Verbrechen als billiges Propaganda-Mittel zu benutzen. "Netanjahu schreibt die Geschichte neu, um die Menschen gegen die Palästinenser aufzustacheln."

Kein Interesse an ehrlichen Gesprächen

Netanjahu habe ohnehin gar kein Interesse daran, mit den Palästinensern zu verhandeln, sagt Avi Primor, ehemaliger israelischer Botschafter in Deutschland im Gespräch mit der DW. Richtige, ehrliche Gespräche seien der einzige Ausweg, doch die würde Netanjahu nicht möglich machen, so Primor.

Festnahme eines jungen Palästinensers in Ost-Jerusalem. Andere werden bei Straßenkontrollen festgehaltenBild: Getty Images/AFP/A. Gharabli

Acht jüdische Israelis und mehr als 40 Palästinenser sind seit Beginn der jüngsten Auseinandersetzungen Anfang Oktober getötet worden. Vor allem die Palästinenser-Führung wurde nicht müde zu betonen, ein Streit über die Befugnisse auf dem Tempelberges sei der Auslöser dafür gewesen. Israel wolle die muslimische Kontrolle über die Al-Aksa Moschee und den Felsendom aushöhlen. Seitdem vergeht kaum ein Tag ohne Berichte über Anschläge, bei denen Palästinenser israelische Zivilisten und Soldaten mit Schuss- oder Stichwaffen angreifen. Und über die israelische Armee, die wiederum auf die Angreifer schießt und in einigen, vor allem von Palästinensern bewohnten Vierteln in Ost-Jerusalem Straßenblockaden und Kontrollpunkte errichtet. Zwischenzeitlich war sogar vom Bau einer Mauer die Rede, die den arabischen Stadtteil "Issawijeh" umgeben sollte. Doch dieser Plan Netanjahus wurde nach scharfer Kritik rechtsorientierter Minister offenbar wieder gestoppt. Die Mauern im Kopf scheinen indes auf beiden Seiten immer höher zu wachsen.

Verbitterung und Vertrauensverlust

Nach Einschätzung des Vorsitzenden der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft, Raif Hussein, ist eine dritte Intifada, ein weiterer Aufstand der Palästinenser, unabwendbar. Die Verbitterung und der Vertrauensverlust in Bezug auf die eigene Führung seien in der jungen Palästinenser-Generation sehr groß. So hätten die Gewalt und das Morden nie aufgehört. "Nur ist jetzt die Intensität des Mordens größer geworden", so Hussein.

Gewalt als Ventil: Ein Jugendlicher wirft Steine an einem israelischen Checkpoint im WestjordanlandBild: Reuters/A. Talat

Die Hoffnungen dieser jungen Palästinenser auf den Frieden und an ein friedliches Miteinander mit den Israelis seien "auf das Abscheulichste missbraucht worden". Auch von Mahmud Abbas, dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde. Statt der Wirtschaft floriert in seinem Einflussbereich vor allem die Korruption und das Chaos. Und nicht selten goss er Öl ins ohnehin schon hoch lodernde Feuer. "Wir preisen jeden Tropfen Blut, der für Jerusalem geflossen ist", sagte Abbas im September.

Ein Treffen ohne Wirkung?

Avi Primor, ehemaliger israelischer Botschafter in Deutschland, sagte im DW-Gespräch, er glaube, dass Abbas Wein predige und Wasser trinke. So würde sich der Palästinenser-Chef zwar öffentlich immer wieder gegen Israel stellen, seine Sicherheitskräfte aber dafür nutzen, um die Situation zu entspannen und Terroristen zu bekämpfen. "Er hat kein Interesse an Terror." Doch er habe nicht genug Macht, so Primor. Die radikal-islamische Hamas habe in der Gesellschaft zu viel Rückhalt. So scheint die Welle der Gewalt nicht abzuebben, sondern eher zu wachsen. Nach dem siebenwöchigen Gaza-Krieg im vergangenen Sommer, der etwa 2000 Palästinenser und 67 Israelis das Leben kostete, hofften viele auf eine Beruhigung der Lage in Nahost. Doch schon im Oktober 2014 schien das wieder überholt, als palästinensische Attentäter in wartende Menschenmengen an Bus-oder Bahnhaltestellen fuhren und mehrere Zivilisten töteten. Auch da glaubten viele, die Vorboten eines neuen Aufstands zu erkennen.

Noch immer will keiner so recht sagen, wie man das, was sich momentan in Israel und den Palästinensergebieten abspielt, benennen könnte. Aufstand? Terror? Am Ende ist das vielleicht auch unwichtig. Der Schaden ist angerichtet und das Misstrauen auf beiden Seiten wieder omnipräsent. Daran dürfte auch das Treffen zwischen Benjamin Netanjahu und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nichts geändert haben, glaubt Avi Primor. Israel brauche eine gute Beziehung zu Deutschland. "Aber das hat keinen Einfluss auf die Situation im Nahen Osten."

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