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Starke Debüts beim "39. Max Ophüls Preis"

Jochen Kürten
26. Januar 2018

Die Regisseurinnen und Regisseure blicken in ihren Debüts auf die Probleme junger Menschen und stellen Fragen nach der Zukunft. Zehn Filme, die zeigen, wie breit das Spektrum des deutschsprachigen Filmnachwuchses ist.

Film 1000 Arten Regen zu beschreiben von Isa Prahl
Bild: Made in Germany Film Produktion

Gerade ist man der Pubertät entwachsen - doch was folgt dann? Eine Frage, die viele junge Nachwuchsregisseure umtreibt. 16 Filme bewerben sich in diesem Jahr um den Max Ophüls Preis, die wichtigste Auszeichnung in Sachen Debütfilm in Deutschland. Das Festival hat versucht, eine möglichst breit gefächerte Auswahl zu präsentieren, so ist auch ein Historienfilm dabei, ein experimenteller Kunstfilm, ein paar Genrevarianten.

Doch das große Thema der meisten Spielfilmdebüts ist der Blick auf Jugend und Erwachsenwerden. Das ist naheliegend: Junge Regisseurinnen und Regisseure schauen natürlich auf das, was sie kennen, was sie erlebt haben und was noch nicht allzu lange zurückliegt in der eigenen Vita. Und das sind nun einmal Pubertät und Jugend, erste Liebe und das Verhältnis zu den Eltern, die Anfänge im Berufsleben und die Integration in die Gesellschaft.

Das Phänomen Hikikomori - auch in Europa bekannt

Zwei Filme aus dem Wettbewerb stehen beispielhaft für dieses Themenspektrum. "1000 Arten Regen zu beschreiben" von Isa Prahl hat eine besonders krasse Variante jugendlicher Verweigerung gewählt. Der Film erzählt von einer Familie, in der sich der Sohn in sein Zimmer eingeschlossen hat. Die Eltern und die Schwester stehen nun ratlos davor und müssen mit der absurden Lage zu Recht kommen.

Emma Bading in "1000 Arten Regen zu beschreiben"Bild: Made in Germany Filmproduktion

In Japan ist das Phänomen, in dem es in "1000 Arten Regen zu beschreiben" geht, unter dem Begriff Hikikomori bekannt: Jugendliche ziehen sich nach ersten negativen Erfahrungen in Schul- und Studienjahren radikal in ihr Zimmer zurück und kapseln sich von der Umwelt ab. Hunderttausende gelten in Japan inzwischen schon als sogenannte Hikikomori-Jugendliche.

Für Regisseurin Isa Prahl ein Phänomen, das auch in Europa immer häufiger zu beobachten ist: "Es hat ganz viel mit Mobbing zu tun, auch mit dem Leistungsdruck, gerade in Japan: Wenn man das nicht schafft, ist man praktisch schon aussortiert."

Prahl: "Der Leistungsdruck in der Schule wird durch die Digitalisierung verstärkt."

Hierzulande sei das noch nicht ganz so schlimm. "Aber der Leistungsdruck in der Schule, der durch die Digitalisierung noch verstärkt wird", nehme auch hier zu. Ihr Film beschreibe aber auch ein "universelles Gefühl: Es geht darum, mal nicht zu funktionieren." Indem der Sohn sich radikal verweigert, demonstriert er auch Selbständigkeit: "Ich bleibe jetzt im Zimmer und erfülle nicht all das, was von mir erwartet wird", so Isa Prahl über die Gedankenwelt ihres Protagonisten.

Isa PrahlBild: DW/J. Kürten

Das kenne sie aus eigener Erfahrung, aber auch aus ihrem persönlichen Umfeld: "ein Gefühl der permanenten Überforderung", hervorgerufen durch die digitale Medienwelt, aber auch durch eine eigentlich perfekte Ausgangssituation beim Start ins Erwachsenenleben: "Wenn man alle Möglichkeiten und Alternativen hat, Studieren, Ausbildung, Hobbys", dann erhöhe sich doch auch der Druck, das heißt bei Vielen: "Wenn ich das jetzt versemmele, dann bin ich schuld."

Isa Prahl nimmt die Familie in Augenschein

Den Jungen sieht man während der ganzen Filmhandlung übrigens in keiner einzigen Szene. Isa Prahl hat sich ganz auf die Reaktionen der Eltern und der Schwester konzentriert: Wie gehen sie damit um? Was macht das aus einer Familie, in der ein Teil plötzlich nicht mehr "funktioniert"?

Ist das ein "Luxusproblem"?, fragt Isa Prahl im Gespräch mit der Deutschen Welle: Ist es ein Luxusproblem, wenn junge Leute quasi alle Möglichkeiten haben und gerade angesichts dieser Vielfalt an Alternativen verzweifeln?

Selfie ohne Lächeln: Eva Löbau in "Reise nach Jerusalem"Bild: Kess Film

Genau die gleiche Frage in einem anderen Kontext stellt auch ihre Kollegin Lucia Chiarla im Interview. Die in Genua geborene und ausgebildete Schauspielerin und Regisseurin, die schon seit 2005 in Deutschland arbeitet, stellt in Saarbrücken ihr Spielfilmdebüt "Reise nach Jerusalem" vor. Der Film blickt auf die Zeit nach Schule und Ausbildung - wenn erste Arbeitserfahrungen hinter einem liegen, wenn sich jugendliche Ideale verflüchtigt und die Träume von einem erfüllten Arbeitsleben in Luft aufgelöst haben. Hier ist es eine nicht mehr ganz so junge Frau, die in einem Kreislauf zwischen Arbeitslosigkeit, Weiterbildung und privaten Krisen gefangen ist.

Lucia Chiarla: "Das deutsche Modell wird in andere Länder exportiert"

Alice (Eva Löbau) ist arbeitslos und sucht verzweifelt, wieder Anschluss zu finden. Die Besuche beim Arbeitsamt und Job-Center, in Weiterbildungsinstitutionen und bei Bewerbungsseminaren bestimmen ihren Alltag. "Die Thematik ist sehr aktuell", sagt Chiarla, die kenne sie selbst als Künstlerin, aber auch aus vielen Erzählungen von Bekannten: "Immer mehr Menschen haben Schwierigkeiten, eine Festanstellung zu finden." Für Chiarla ist das ein gesamteuropäisches Problem: "Die Mittelschicht fühlt sich immer mehr bedroht."

Selbst im "Hochbeschäftigungsland Deutschland" sei das zu beobachten. Auch wenn die offiziellen Zahlen besser seien als in anderen Ländern, so erfassten die Statistiken doch nicht diejenigen, die in Weiterbildungsmaßnahmen und ähnlichen Beschäftigungsmodellen "arbeiten". Und: "Das deutsche Modell wird in andere Länder exportiert", ist Chiarla überzeugt. "Es ist sehr demütigend, wenn man in einer solchen Situation ist."

Lucia Chiarla Bild: DW/J. Kürten

Chiarla: "Es geht auch um Identität und Würde."

Ein weiteres Problem sieht sie in der Tatsache, dass zwar immer mehr junge Menschen studieren, doch danach keine entsprechenden Jobs mehr finden: "Wenn man lange studiert hat, dann geht es doch nicht nur darum, eine Arbeit zu finden. Es geht auch um Identität!" Natürlich sei das Geldverdienen wichtig. Aber: Eine halbwegs passende Arbeit zu finden, sei auch eine Sache der Würde. "Das ist kein Luxusproblem - es ist eine wichtige Frage in unserer liberalen Gesellschaft."

Prahl und Chiarla gehören zu den Preisfavoriten

Es ist das Verdienst von jungen Regisseurinnen wie Isa Prahl und Lucia Chiarla, dass sie ihre an sich schweren Themen in ihren Debüts, die zu den stärksten Beiträgen beim diesjährigen Max Ophüls Preis zählten, auch mit leichter Hand und humoristischen Ansätzen erzählen. Damit dürften "1000 Arten Regen zu beschreiben" und "Reise nach Jerusalem" in diesem Jahr zu den Preisfavoriten gehören.

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