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Politik

Zwischen Radikalisierung und Beruhigung

4. Februar 2019

Der Generalstreik an diesem Dienstag wird die Proteste der Gelbwesten in Frankreich auf einen neuen Level heben. Denn erstmals mischen die Gewerkschaften bei dem Ausstand mit. Von Lisa Louis, Paris.

Frankreich Gelbwesten Proteste in Marseille
Bild: Getty Images/AFP/B. Horvat

Seit fast drei Monaten blockieren die Gelbwesten in Frankreich Verkehrskreisel und demonstrieren jeden Samstag in Städten im ganzen Land. Doch an diesem Dienstag erhalten die Proteste eine neue Dimension - durch einen Generalstreik, den die Demonstranten gemeinsam mit den Gewerkschaften organisieren. Der könnte entweder das Land weiter radikalisieren oder aber alle Parteien an den Verhandlungstisch bringen.

Sassat Lerat ist seit November bei allen Demos in Paris dabei Bild: DW/L. Louis

Der linksradikale Gewerkschaftsbund CGT hat zusammen mit den Gelbwesten zu dem Streik aufgerufen. Ihnen angeschlossen haben sich andere Gewerkschaften wie FSU und Solidaires. Im Sektor Transport, Gesundheit und Erziehung dürfte die Arbeit zum Erliegen kommen. Der Streik ist zunächst auf 24 Stunden ausgelegt, die Streikenden können ihn aber verlängern. Außerdem sind zahlreiche Demonstrationen in ganz Frankreich geplant.

Ludovic Laplanche hegt starke Hoffnungen auf den GeneralstreikBild: DW/L. Louis

Dass nun auch die Arbeitnehmerorganisationen bei den Protesten dabei sind, freut viele Gelbwesten. Wie Sassat Lerat, die seit November bei allen Demos in Paris mitmacht. "Wir können jede Unterstützung gebrauchen - schließlich passiert hier gerade etwas Historisches. Dieser Streik ist ein friedlicher Weg, um unsere Forderungen durchzusetzen," sagt die 46-jährige Kindergärtnerin aus einem Pariser Vorort der DW. Ludovic Laplanche, 32-jähriger Straßenfeger in Troyes in Nordost-Frankreich, pflichtet ihr bei. "Im Mai 1968 haben die Dinge auch erst mit dem Generalstreik Fahrt aufgenommen - es müssen alle mitmachen, damit wir das erreichen, was wir wollen."

Nicht alle Gewerkschaften machen mit

Die Forderungen der Gelbwesten sind vielfältig und teilweise widersprüchlich, genauso wie die politische Orientierung der Demonstranten. Doch das ändere sich gerade, glaubt Fabrice Angei, Vorstandsmitglied der CGT. "Die Bewegung ist jetzt viel einheitlicher als am Anfang. Und sie wollen das Gleiche wie wir - zum Beispiel einen höheren Mindestlohn, höhere Renten und einen Ausbau der Arbeitslosenversicherung," erklärt er im DW-Interview. Die gemeinsame Streikaktion zeige, dass die Gelbwesten die Gewerkschaften brauchen, um an die Arbeitnehmer heranzukommen.

Proteste der Gelbwesten in NîmesBild: Getty Images/AFP/P. Guyot

Doch nicht alle Gewerkschaften fühlen sich bei den Gelbwesten willkommen. Die CFDT, Frankreichs größte Arbeitnehmerorganisation, bleibt dem Streik fern. Die Gewerkschaft antworte nicht auf Vorladungen, so Mylène Jacquot, Generalsekretärin der CFDT-Sparte für den öffentlichen Dienst. "Die Gelbwesten demonstrieren gegen die Institutionen der repräsentativen Demokratie, und zu denen gehören wir," sagt sie. "Ein Demonstrant hat mir neulich geschrieben: 'Wir mögen die Gewerkschaften nicht, aber es ist trotzdem ihre Aufgabe, uns bei diesem Kampf zu unterstützen'. Da machen wir nicht mit."

Die Proteste Gelbwesten rollen seit Mitte November durch FrankreichBild: Reuters/E. Gaillard

Revolution oder zurück zur traditionellen Demokratie?

In welche Richtung es durch den Streik gehen könnte, darüber sind sich die Beobachter uneins. Stéphane Wahnich, Politologe und Chef des Umfrageinstituts SCP Communication, denkt, der Ausstand könnte die Situation verschärfen. "Die Gelbwesten, die jetzt noch übrig sind, sind zunehmend aus der links- oder rechtsextremen Ecke. Das merkt man auch an der Stimmung bei den Demonstrationen, die extrem negativ ist," sagt er im DW-Interview. "Wenn die linksradikale CGT sich jetzt zusammentut mit rechtsradikalen Elementen, könnte das Ganze noch weiter eskalieren und richtig gefährlich werden für die französische Demokratie und den Präsidenten Emmanuel Macron." Schließlich forderten viele Gelbwesten, das Parlament aufzulösen und somit das System umzustoßen.

Politiloge Stephane Wahnich sieht die Gelbwesten in die Radikalität abdriftenBild: privat

Bruno Cautrès, Politologe beim Forschungsinstitut Cevipof der Universität Science Po in Paris, hingegen glaubt, der Streik verringere die Wahrscheinlichkeit einer Revolution. Die unkonventionellen Gelbwesten würden dadurch zu den traditionellen Ausdrucksformen der repräsentativen Demokratie zurückfinden, also in diesem Fall zu Verhandlungen mithilfe der Gewerkschaften.

Das habe sich bereits seit ein paar Wochen abgezeichnet - auch daran, dass die Gelbwesten zunehmend traditioneller organisiert waren, zum Beispiel durch einen eigenen Sicherheitsdienst bei den Demonstrationen. "Wenn jetzt viele bei dem Streik mitmachen, wird sich die Situation beruhigen," sagt er zur DW.

In einem sind sich die Forscher jedoch einig. Die Proteste der Gelbwesten haben schon jetzt die Institutionen der französischen Republik in ihren Grundfesten erschüttert. Und das wird Spuren hinterlassen. "Es wird ein vor und ein nach den Gelbwesten geben", sagt Cautrès.

 

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