An einem gemeinsam betriebenen französisch-chinesischen Kernkraftwerk in Taishan ist erhöhte Radioaktivität gemessen worden. Was ist bisher über den Zwischenfall bekannt?
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An einem der größten und modernsten Kernkraftwerke Chinas in Taishan kam es nach Angaben des US-Fernsehsenders CNN zu einem Zwischenfall, bei dem radioaktive Edelgase ausgetreten sind. CNN beruft sich in seinem Bericht vom 14. Juni auf ein Schreiben des französischen Konzerns Framatome an die US-Atombehörde Department of Energy. Darin sei vor einer "unmittelbaren radiologischen Bedrohung" gewarnt worden.
Nun gibt sich Framatome in einer Pressemitteilung jedoch bedeckt. Die Firma bestätigt zwar, dass sie "die Lösung eines Problems im Betriebsablauf" unterstütze. Das Kernkraftwerk arbeite jedoch "innerhalb der Sicherheitsparameter". Auch Behörden geben Entwarnung.
Das ist bisher über den Vorfall bekannt:
Was für ein Reaktor steht in Taishan?
Das Kernkraftwerk arbeitet mit einem der modernsten und auch leistungsstärksten Reaktortypen, die derzeit existieren. Es ist ein Modell des Europäischen Druckwasserreaktors (EPR), der von Framatome sowie dem Staatskonzern Électricité de France (EDF) entwickelt wurde. Framatome, eine Tochter des Areva-Konzerns, war 2001 mit der Reaktorsparte von Siemens fusioniert.
In Taishan, in der dichtbesiedelten Provinz Guangdong und nur 135 Kilometer von Hong Kong entfernt, stehen die zwei ersten Reaktorblöcke dieser Baureihe. Sie sind erst zwei und drei Jahre jung und bislang weltweit die einzigen, die Strom produzieren. Bauherr und Betreiber ist die Taishan Nuclear Power Joint Venture Company (TNPJVC), die zu 70 Prozent der chinesischen Guangdong Nuclear Power Group (CGNPC) gehört und zu 30 Prozent der EDF. Reaktoren dieses Typs liefern eine Leistung von über einem Gigawatt.
Was für Radioaktivität ist wurde freigesetzt?
EDF erklärte, dass es in dem ersten der beiden Reaktorblöcke einen erhöhten Austritt von Edelgasen gegeben habe, und zwar im ersten Kühlkreislauf. Nach Aussagen eines Pressesprechers handele es sich um gering-radioaktives Xenon und Krypton, die ausgetreten seien, weil die Umhüllung von Brennstäben korrodiert sei. "Wir befinden uns nicht in einem Szenario mit einem geschmolzenen Reaktorkern", stellte der Pressesprecher klar.
Dies sei ein bekanntes Phänomen und für so einen Fall seien Handlungsanweisungen festgelegt. Der Austritt der Edelgase sei in einem üblichen Rahmen und nicht gefährlich. Die EDF habe eine Sitzung des Joint-Venture-Aufsichtsrates einberufen, um alle Daten zu dem Vorfall zu sichten, hieß es in einem Pressestatement.
Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) erklärte in einer Stellungnahme gegenüber Reuters, ihr lägen bislang keine Hinweise auf einen Zwischenfall vor. CNN berichtet zudem, dass auch ungenannte US-Regierungsvertreter derzeit nicht von einer schweren Gefahrenlage ausgehen.
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Ist Radioaktivität auch in die Umwelt gelangt?
Zhao Lijian, Sprecher des chinesischen Außenministeriums, sagte am 15. Juni, dass es "keine Unregelmäßigkeiten bei der Strahlenbelastung um die Atomanlage" gebe. "Die Sicherheit ist garantiert", fügte er hinzu.
Auch der Wetterdienst von Hong Kong hat bislang keine signifikant erhöhten Radioaktivitätswerte gemessen.
Bereits am 9. April hatte die chinesische Nationale Nuklear-Sicherheitsbehörde, nach Angaben von Associated Press über einen Austritt von radioaktiven Gasen innerhalb der Anlage von Taishan berichtet, dies allerdings als "Vorfall ohne Sicherheitsrelevanz" eingestuft. Demnach seien auch damals keine signifikanten Mengen radioaktiver Gase nach außen gedrungen.
Wie steht es um die Transparenz bei Zwischenfällen?
Im Fall der Druckwasserreaktoren von Taishan haben internationale Experten durchaus Zugang über die Kooperation und das französisch-chinesische Joint Venture. Insofern ist eine strikte Geheimhaltung unerwünschter Nachrichten durch Peking kaum möglich. Allerdings bemängeln Beobachter des chinesischen Atomprogramms bei anderen Anlagen oft einen Mangel an Transparenz. So formuliert das Portal Futurezone etwa den Verdacht, dass China spezielle Reaktoren baut, um darin Plutonium für sein Waffenprogramm zu brüten. Verifizieren lassen sich solche Berichte indes kaum.
Die Katastrophe von Tschernobyl. Was folgt?
1986 explodierte das Atomkraftwerk von Tschernobyl. Durch den bis dahin größten atomaren Unfall wurden weite Teile von Europa radioaktiv verseucht. Der Glaube an eine sichere Atomkraft wurde nachhaltig erschüttert.
Bild: AP
Tschernobyl nach der Explosion
Durch einen Bedienfehler explodierte am 26. April 1986 ein Reaktor des Atomkraftwerks Tschernobyl in der damaligen Sowjetunion. Riesige Mengen radioaktiver Partikel wurden in die Erdatmosphäre katapultiert und kontaminierten mit dem folgenden Niederschlag viele Länder in Europa. Die Weltöffentlichkeit erfuhr von dem Unfall erst nach ein paar Tagen und vom gesamten Ausmaß erst viel später.
Bild: picture-alliance/AP
Humanitäre Katastrophe
4000 Menschen könnten nach Einschätzung der internationalen Atomenergie-Organisation und der WHO an den Folgen des Reaktorunglücks gestorben sein. Das Journal of Cancer geht von mindestens 15.000 Krebstoten aus. Diese Zwillinge kamen nach der Katastrophe zur Welt. Sie waren auf dem Foto 16 Jahre alt. Der Vater arbeitete als "Liquidator" im havarierten Kraftwerk. Die Mutter lebte in der Nähe.
Bild: picture alliance/dpa
Geisterstadt
Die Stadt Pripyat ist nur wenige Kilometer vom Atomkraftwerk Tschernobyl entfernt. Heute ist Pripyat unbewohnbar - eine Geisterstadt. Einst lebten hier 43.000 Menschen. Viele Männer arbeiteten in der Atomanlage. Einige Tage nach der Explosion wurden die Menschen sehr schnell evakuiert und mussten fast alles zurücklassen. Insgesamt mussten rund 350.000 Menschen ihre Heimat verlassen.
Bild: Getty Images/S. Gallup
Wildschweinfleisch noch heute belastet
Die Ostgrenze von Deutschland liegt 1.100 Kilometer von Tschernobyl entfernt. Doch durch den radioaktiven Niederschlag wurden bestimmte Gebiete Deutschlands stark kontaminiert. Auch noch heute muss deshalb Wildschweinfleisch auf Cäsium 137 untersucht werden. Teilweise sind die Messwerte zu hoch und das Fleisch darf nicht verkauft werden.
Bild: picture-alliance/dpa
Neue Schutzhülle über den Reaktor
Inzwischen wurde eine gigantische Stahlkuppe gebaut und über den Unglücksreaktor geschoben. 2,2 Milliarden Euro kostete der Bau bisher und wurde von 45 Ländern finanziert. Die Schutzhülle ist aber noch nicht dicht und die Fertigstellung dauert eventuell noch bis Ende 2018. Bis zu 200 Tonnen Uran und Plutonium könnten im zerstörten Reaktor liegen. Eine langfristige Bergung ist nicht absehbar.
Bild: picture-alliance/ Photoshot
Photovoltaik statt Atomkraft?
Neben dem zerstörten Reaktor steht eine neue Photovoltaikanlage. Doch Wind- und Sonnenkraft liefern in der Ukraine nur 1,5 Prozent des Stroms, 68 Prozent kommen aus den 15 alten Reaktoren. Zwar sollen die Erneuerbaren ausgebaut werden, doch die Ukraine setzt weiter auf Atomkraft und plant die Verlängerung der Laufzeiten. Solar- und Windkraft ist nach Meinung vieler Ukrainer teurer als Atomkraft.
Bild: Getty Images/AFP/G. Savilov
2011: Atomkatastrophe von Fukushima
Eine Atomkatastrophe im High-Tech-Land Japan hielten viele für unmöglich. Nach einem Tsunami kommt es 2011 aber zur Kernschmelze in drei Reaktoren und zu Wasserstoffexplosionen. Tokio wurde beinahe stark verseucht, hatte aber noch Glück. Experten rechnen mit 22.000 bis 66.000 zusätzlichen Todesfällen durch Krebs. Die Kosten des Unglücks liegen laut Japans Regierung bei 177 Milliarden Euro.
Bild: Reuters
Angst vor einem neuen Atomunfall
Inzwischen sind viele Atomreaktoren alt und werden zunehmend störanfällig. Laut einer Studie der Naturschutzorganisation BUND sind zudem deutsche Reaktoren nicht ausreichend gegen Hochwasser, Erdbeben und Terror geschützt. Deutschland will bis 2022 aus der Kernkraft aussteigen. In anderen europäischen Ländern wollen Kraftwerksbetreiber die Laufzeiten jedoch verlängern.
Bild: DW/G. Rueter
Atombombe braucht Atomkraft
Die Stromproduktion mit neuen Atomkraftwerken ist nicht mehr wirtschaftlich. Trotzdem werden noch einige Reaktoren gebaut und geplant. Eine Motivation ist der Wunsch nach der Atombombe. Britische Wissenschaftler bezeichnen den Bau des Reaktors in Hinkley Point deshalb auch als eine Quersubventionierung des militärischen Atomprogramms auf Kosten der britischen Stromkunden.