Der Weg raus aus der Tabu-Ecke
27. Dezember 2021Ein vierter Platz beim Ironman-Debüt auf Hawaii im Jahr 2019 war ein fantastischer Erfolg. Klar, dass Laura Philipp da Hunger auf mehr hat. Doch die Pandemie hatte auch den Triathlon-Zirkus weitgehend zum Erliegen gebracht.
In dieser Zeit haben wir mit ihr über ein Thema gesprochen, bei dem sie kaum zu bremsen ist: der weibliche Zyklus und Hochleistungsausdauersport. Bedingt durch das extrem harte Training und den niedrigen Körperfettanteil haben viele Triathletinnen eine unregelmäßige Periode oder die Monatsblutung bleibt sogar völlig aus. Künstliche Hormone sind ein möglicher Ausweg, den Philipp aber irgendwann nicht mehr gehen wollte. Gemeinsam mit ihrem Ehemann und Coach Philipp Seipp hat sie ihr Training konsequent umgestellt. Genauer erklärt sie das unter anderem auf ihrem eigenen Youtube-Channel und motiviert Sportlerinnen, besser auf ihren Körper zu hören. Philipp und Seipp sind der Meinung, dass es höchste Zeit ist, das Thema aus der Tabu-Ecke zu holen.
DW: Wann kam der Entschluss, als Athletin tiefer in dieses Thema einsteigen zu wollen?
Laura Philipp: Ich habe jahrelang die Pille zur Verhütung genommen. Nicht, damit ich im Sport besser zurechtkomme. Dann hatte ich einfach das Gefühl, das tut mir nicht gut, irgendetwas ist komisch und ich setze das jetzt einfach mal ab. Nach dieser Umstellung habe ich dann festgestellt, dass es immer wieder Momente gab oder Einheiten, die überhaupt nicht gelaufen sind. Darüber habe ich mit Philipp, der ja mein Mann und gleichzeitig mein Trainer ist, diskutiert, weil ich gesagt habe: Es kann doch nicht sein, dass ich die letzte Woche noch so gut gelaufen bin und jetzt geht gar nichts mehr. Wir hatten da echt häufig richtige kleine Krisensitzungen.
Philipp Seipp: Ich habe das Training so gestaltet, wie es die Ausbildung vorsieht. Ich muss aber ganz klar sagen, dass ich unwissend war. Ich war überzeugt, ganz genau zu wissen, wie Sport funktioniert. Durch Lauras Anstoß sind wir mit Wucht darauf gestoßen, dass die Dinge so nicht funktionieren.
Laura Philipp: Das Spannende ist, dass weder er im Sportstudium noch ich in meiner Ausbildung zur Physiotherapeutin über das Thema des weiblichen Zyklus etwas Näheres erfahren habe. Beim Frauenarzt habe ich immer nur die Empfehlung "nehmen Sie doch die Pille" bekommen. Ich habe mir gedacht, das kann doch einfach nicht sein, dass das alles ist. Und irgendwann bin ich eben darauf gekommen, dass eben diese Tage, an denen es nicht läuft, kein Zufall sind. Als ich dann mal angefangen habe, wirklich ein bisschen mehr meinen Zyklus zu analysieren, wurden Zusammenhänge plötzlich sichtbar. Beispielsweise wie der Zyklus auf heftige Belastungen reagiert. Sportlerinnen, speziell in Ausdauersportarten, haben ohnehin Schwierigkeiten, einen Zyklus zu haben. Ich hatte das Gefühl, ich bin hier auf etwas gestoßen, das mich nochmal auf ein neues Level heben kann.
Philipp Seipp: Das Spannende ist die Frage: Wo ist dieses neue Level? Ich glaube, es ist vor allen Dingen eine Art Persönlichkeitsbildung, dass du mit dir und deinem Körper eins bist, dass du nicht gegen deinen Körper arbeitest. Zum Beispiel haben wir festgestellt, dass Nüchtern-Training in der zweiten Zyklushälfte extremen Stress auslöst. Seitdem lassen wir das weg.
In der Weltspitze geht es natürlich trotzdem ums Gewinnen. Erlaubt dieser Druck überhaupt den "bewussten" Weg, den Sie eingeschlagen haben?
Laura Philipp: Das hat gleich mehrere spannende Aspekte. Als Erstes die Frage, die wir uns auch stellen: Ist die Pille nicht sogar eine Form von Doping? Weil dieses Präparat gerade Langstreckenläuferinnen ermöglicht, so niedrige Werte beim Körperfett zu erreichen. Gleichzeitig bekommen sie dadurch Probleme mit der Knochendichte. Es ist sicher schwierig für die sportliche Leistungsfähigkeit genau zu sagen, ob jemand jetzt besser oder schlechter mit oder ohne ist.
Philipp Seipp: Ich würde es sehr radikal angehen wollen. Die Pille ist, im Sport eingesetzt, ein legales Instrument, besser zu werden. Es ist aber gefährlich, weil Signale des Körpers unterdrückt werden, die eigentlich eine Warnfunktion haben. Vor allen Dingen bei Sportarten mit sehr niedrigem Körperfettanteil oder einem sehr geringem BMI (Body Mass Index; Anm. d. Red.). Da gibt es harte Geschichten von US-Sportlerinnen, die jahrelang gar keine Regelblutung hatten und Ermüdungsbrüche bildeten. Und nur die, die es überstanden haben, hatten Chancen auf internationale Erfolge. Jungen Frauen werden hier hohe Lasten für die Zukunft aufgebürdet, oft aus Unwissenheit. Aus diesem Grund sage ich bewusst: Das, was jungen Frauen im Sport widerfahren kann, ist Körperverletzung. Da ist einfach noch eine ganze Menge Arbeit zu machen. Und eventuell liegt die auch darin, dass man beachten muss, dass die Physiologie von Frauen eine individuelle Trainingssteuerung verlangt und die Trainingswissenschaft da extrem nachsteuern muss.
Laura Philipp: Das Thema Gesundheit ist da für mich wichtig. Ich möchte nicht, wenn ich meine Karriere beendet habe, irgendwie ein Wrack sein und mich nie wieder bewegen können.
Philipp Seipp: Dazu möchte ich einwerfen: Allein in unserem Bekanntenkreis haben wir viele werdende Mütter, die das nicht mehr auf natürlichem Weg geschafft haben nach dem Sport. Das ist frappierend. Und wie ist die Antwort darauf? Im normalen Leistungssport-System wirst du quasi immer an diesem einen Tag beurteilt, den du dir nicht aussuchen kannst. Du setzt dich mit den Besten auseinander. Deshalb wird der Körper da planbar gemacht. Man muss dann die Natur und möglicherweise einen ungünstigen Zeitpunkt für einen Wettkampf hinnehmen. Und da wäre es angebracht zu sagen: Das ist meine Natur, und die übergehe ich nicht. Das ist eine sehr ethische Frage, die dahinter steht. Und für mich als Trainer ist sie inzwischen sehr einfach zu beantworten, weil ich Menschen trainieren möchte und keine Roboter.
Laura Philipp: Die schöne Botschaft, die ich übermitteln möchte, ist: Wenn man seinen Körper kennt und Ernährung und Training darauf abstimmt, kann man fast immer Topleistung abliefern. Es ist eventuell psychisch ein bisschen anstrengender. Ich muss also mehr dafür arbeiten, aber kann das Vertrauen in meinen Körper bekommen, dass ich das kann.
Die Studienlage zum Thema Zyklus & Hochleistungssport ist dünn - haben Sie den Eindruck, dass da etwas in Bewegung ist?
Laura Philipp: Auf jeden Fall. Wir haben schon mehrere Anfragen für Forschungsprojekte bekommen. Sehr weit ist da Dr. Stacy Sims aus den USA. Die hat ein Buch geschrieben, das relativ verbreitet ist. Sie bringt das sehr stark voran durch Fortbildungsangebote und arbeitet mit vielen internationalen Sportlerinnen zusammen. Insbesondere aus Nordamerika gibt es schon eine ganze Reihe an Publikationen und Projekten, die sehr spannend sind.
Philipp Seipp: Hier gibt es enormes Entwicklungspotenzial. Wir müssen Zusammenhänge besser verstehen. Auf dieser neuen Basis könnten dann bestehende Theorien und bestehende Trainingsmuster überprüft und angepasst werden. Es ist wichtig, dass die Gesundheit des Individuums im Mittelpunkt der Überlegungen steht. Es ist ein Stein ins Rollen gebracht worden. Es wird aber Jahre dauern, bis Veränderungen in Lehre, Ausbildung und Praxis angekommen sind. Bei vielen Frauen und auch Männern sehe ich ein neues Bewusstsein, eine neue Sensibilität für dieses Thema.
Sie haben nicht nur Ihr Training umgestellt, sondern gehen mit dem Thema ganz offensiv in die Öffentlichkeit. Was war der Auslöser?
Laura Philipp: Ich war irgendwann so geflasht von diesen Entdeckungen. Ich dachte mir, es kann nicht sein, dass ich jetzt über 30 bin und zum ersten Mal solche Dinge über den weiblichen Körper erfahre. Und eigentlich hätte ich das schon als Jugendliche gerne gewusst und vor allem auch, als ich das erste Mal beim Frauenarzt saß und er mir die Pille als "die Lösung für alles" empfohlen hat. Da hätte ich gerne eine Wahl gehabt oder eine Aufklärung, um zu wissen, was ich meinem Körper damit eigentlich antue.
Ist das ihrer Einschätzung nach noch immer ein Tabuthema?
Laura Philipp: Absolut. Ich finde es schon krass, wie viele Frauen es gibt, die sich untereinander nicht trauen, darüber zu sprechen. Und dann ist der nächste Schritt mit einem Mann darüber zu sprechen. Und ich erlebe es ja mit Philipp, der jetzt eben Trainer ist, dass das auch für sehr viele Athletinnen ein totales Tabu ist, mit ihrem Trainer darüber zu sprechen. Mit einer Trainerin ist das möglicherweise einfacher. Wir Frauen müssen lernen, offener damit umzugehen. Das ist der erste Schritt. Es muss das Normalste überhaupt sein, darüber zu sprechen. Die Reaktionen, die ich auf meine Videos bekommen habe, waren durchweg positiv. Ich habe so viele Nachrichten bekommen von Frauen, die gesagt haben, sie haben das aufgesogen, haben versucht alle Tipps umzusetzen, haben ihre Periode bekommen, haben weniger Beschwerden und haben sich getraut, mit ihrem Trainer darüber zu sprechen. Ich habe wirklich das Gefühl, dass da ein Riesenbedarf ist.
Das Interview führte Jens Krepela.
Dieser Artikel wurde erstmals am 24.5.2021 veröffentlicht.